Entscheidungsstichwort (Thema)

Einreichung der Vaterschaftsanfechtungsklage beim Sozialgericht. Rechtswegmissbrauch. Verweisungspflicht in den zulässigen Rechtsweg

 

Orientierungssatz

1. Es ist nicht missbräuchlich, eine nach materiellem Recht bestehende Klagefrist für eine Vaterschaftsanfechtung durch Einreichung der Klage beim Sozialgericht zu wahren.

2. Selbst im Fall des Rechtswegmissbrauchs ist die Klage in den richtigen Rechtsweg zu verweisen und darf nicht als unzulässig abgewiesen werden.

 

Tenor

1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 11. September 2001 wird aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird an das Amtsgericht Norderstedt - Familiengericht - verwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vaterschaft der Beklagten zu 2).

Der Kläger erhob am 5. Juni 2001 beim Sozialgericht Lübeck Klage auf Feststellung, dass er nicht der Vater der Beklagten zu 2) sei, die am 3. Mai 2001 geboren wurde. Hierzu trug er vor, die Beklagte zu 2), von deren Geburt er am 9. Mai 2001 Kenntnis erlangt habe, wohne bei ihrer Mutter, der Beklagten zu 1), mit der er verheiratet sei. Das Scheidungsverfahren sei jedoch seit dem 27. März 2001 beim Amtsgericht Bergheim anhängig. Der Vater des Kindes sei Herr K. D., der bei der Beklagten zu 1) wohne und dessen Vaterschaft er anerkennen wolle. Das sei im Anwendungsbereich des nach deutschem Recht geregeltem Abstammungs- und Anfechtungsstatus ausreichend. Jedoch seien alle Beteiligten türkische Staatsangehörige. Evtl. sei daher türkisches Recht anwendbar. Für die Anerkennung der Vaterschaftsverhältnisse in der Türkei sei eine Gerichtsentscheidung über die Abstammung erforderlich. Nach türkischem Recht - außerhalb des Anwendungsbereichs der so genannten Amnestiegesetze - könne die Vaterschaft nur durch eine Klage gegen die Mutter und das Kind angefochten werden, die innerhalb eines Monats erhoben sein müsse. Die Frist laufe nicht, solange die Vertretung des Kindes nicht geklärt sei. Bei einer gerichtlichen Entscheidung unter Anwendung deutschen Rechts wäre es nach Art. 38 des türkischen IPR-Gesetzes nicht völlig gesichert, ob nach dem türkischen internationalen Privatrecht türkisches Recht Anwendung finden müsse. Daher sei es erforderlich, die Klage auch nach türkischem Recht auszurichten. Er habe die Ehewohnung am 6. April 2000 verlassen, seitdem bestehe keinerlei Kontakt mehr zwischen den Eheleuten, die Pflegerbestellung beantrage er mit gleicher Post. Er erhebe die Klage aus Vorsicht beim Sozialgericht, um die Monatsfrist für die Rechtshängigkeit zu wahren. Dies wäre beim Familiengericht nicht sicherzustellen.

Der Kläger hat beantragt,

die Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - Norderstedt zu verweisen.

Im Übrigen hat er beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte zu 2) nicht seine Tochter sei.

Das Sozialgericht hat die Klage nicht zugestellt. Nach vorheriger Anhörung des Klägers hat es sie mit Gerichtsbescheid vom 11. September 2001 als unzulässig abgewiesen und dem Kläger Gerichtshaltungskosten in Höhe von 300,00 DM auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei unzulässig, da das Familiengericht für die Entscheidung zuständig sei. Davon gehe auch der Kläger aus. Im Falle der Anrufung des unzuständigen Gerichts sei die Klage nach deren Zustellung und Anhörung der Beteiligten grundsätzlich an das zuständige Gericht zu verweisen. Die Vorschrift diene der Verkürzung eines Zuständigkeitsstreites und sei zweifelsfrei auch im Falle irrtümlicher Anrufung eines unzuständigen Gerichts anzuwenden. Sie gelte jedoch dann nicht, wenn ein unzuständiges Gericht rechtsmissbräuchlich angerufen worden sei. In einem solchen Fall habe sich das angerufene Gericht jeder Tätigkeit zu enthalten, die den Rechtsmissbrauch verfestige. Ein derartiger Fall groben Rechtsmissbrauchs liege vor. Obwohl er gewusst habe, dass das Familiengericht für die Klage zuständig sei, habe der Kläger diese beim Sozialgericht erhoben, um die Rechtshängigkeit bereits mit Klageeingang zu erreichen, die nach den zivilprozessualen Bestimmungen erst mit der Zustellung eingetreten wäre. Im Falle einer Verweisung an das zuständige Gericht würden die beim Sozialgericht früher eingetretenen Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben. Durch eine Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht würde sich das zunächst angerufene Gericht damit an den vom Kläger betriebenen Rechtsmissbrauch zu Lasten der Beklagten beteiligen. Das zunächst angerufene Gericht habe sich daher jeder Tätigkeit zu enthalten und auch die Klage nicht zuzustellen. Die Beklagte zu 2) bedürfe wegen ihrer Minderjährigkeit besonderer Fürsorge, die die Zivilprozessordnung durch eine mögliche Pflegschaftsbestellung sichere, die nach den Bestimmungen des Sozialgerichtsgesetzes nicht möglich sei. Obwohl das Gericht den Kläger auf diese Rechtslage hingewiesen habe, habe er an seinem rechtsmissbräuchlichen Antrag festgehalten. Die Kosten für diese mutwillige Prozessführung seien ihm aufzuerlegen.

Gegen die ...

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