Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewaltopferentschädigung. Leistungsausschluss wegen Unbilligkeit. Zugehörigkeit zum Kreis der Alkohol- und Drogenkonsumenten. zeitlich mit dem Tatgeschehen eng verbundenes provokatives und gewalttätiges Verhalten des Opfers gegenüber dem Schädiger
Orientierungssatz
Zum Versagen von Leistungen nach dem Gewaltopferentschädigungsrecht für die Folgen einer Schussverletzung wegen Unbilligkeit gemäß § 2 Abs 1 S 1 OEG, wenn neben der Zugehörigkeit des Klägers zum Kreis der Alkohol- und Drogenkonsumenten und dem Entstehen der Tat aus diesem Milieu weitere mit dem eigentlichen schädigenden Tatgeschehen zeitlich eng verbundene Umstände in Gestalt eines provokativen und gewalttätigen Verhaltens gegenüber dem Schädiger und dessen Ehefrau vorliegen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 7. November 2002 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Land dem Kläger Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zu gewähren hat.
Der 1964 geborene Kläger wurde am 13. Juni 1998 von seinem damaligen Freund aus unmittelbarer Nähe in den Rücken geschossen und dabei lebensgefährlich verletzt. Dem Kläger musste die rechte Niere entfernt werden, und er ist seitdem querschnittsgelähmt.
Der Kläger war bereits in der Zeit von 1987 bis 1992 heroinabhängig. Anschließend nahm er bis 1996 an einem Methadonprogramm teil. Er gehörte zu einer Gruppe von jüngeren Arbeitslosen, die oft tage- und nächtelang zusammen Alkohol und Drogen konsumierten. In seiner Gruppe war er dafür bekannt, dass er in stark alkoholisiertem Zustand und unter Drogeneinfluss gelegentlich "ausrastete". So hatte er einem Mitglied seiner Gruppe, C S, im März 1996 mit einem Brotmesser zwei Stiche in die Nase, einen Stich in die linke Augenbraue sowie einen Stich mittig in die Brust versetzt, weil sich der C S in einen Streit zwischen dem Kläger und dessen Freundin eingemischt hatte. Es gehörte zu den Gepflogenheiten dieser Gruppe, gelegentlich Schießübungen in den Wohnungen abzuhalten. Der Kläger hatte gemeinsam mit dem späteren Schädiger häufiger in der Wohnung des Schädigers mit einer Luftpistole und auch mit einem Gewehr geschossen. Auch war der Kläger im Besitz einer einschüssigen Schrotflinte der Marke "Baikal". Diese Schrotflinte gab der Kläger im März 1998 zusammen mit einer Handvoll dazugehöriger Munition an den Schädiger zur Aufbewahrung weiter. Die Schrotflinte wurde im Schlafzimmer seiner Wohnung aufbewahrt.
In der Nacht vom 12. auf den 13. Juni 1998 suchte der Schädiger gemeinsam mit zwei weiteren Mitgliedern der oben bezeichneten Gruppe den Kläger in seiner Wohnung auf, wo sie Alkohol tranken. Der Kläger und der spätere Schädiger konsumierten gemeinsam eine "Nase Heroin", die der Kläger ausgab. Der Kläger verkaufte dem Schädiger außerdem ein halbes Gramm Kokain zum Preis von 60,00 DM. Da der Schädiger kein Geld dabei hatte, sollte er die 60,00 DM am nächsten Tag an den Kläger bezahlen. Das halbe Gramm Kokain konsumierte der Kläger gemeinsam mit dem Schädiger in der Nacht. Sie schliefen in dieser Nacht nicht und beschlossen am Morgen, zusammen in die Stadt zu gehen, wo sie einige Dosen Bier tranken und Haschisch rauchten. Der Schädiger verkaufte an eine unbekannte Person für 20,00 DM Haschisch, damit er wenigstens etwas Bargeld bei sich hatte. Am Nachmittag ging der Kläger gemeinsam mit dem Schädiger zurück zur Wohnung des Klägers. Dort machte der Schädiger, der dem Kläger wegen des halben Gramms Kokain noch 60,00 DM schuldete, den Vorschlag, für seine letzten 20,00 DM Bier zu holen und dem Kläger am nächsten Tag noch seine Restschulden in Höhe von nur noch 40,00 DM zu zahlen. Darüber kam es zwischen dem Kläger und dem Schädiger zum Streit. Der Kläger machte geltend, er fühle sich vom Schädiger betrogen. Er regte sich immer mehr auf, so dass er schließlich den Schädiger packte und wiederholt die sofortige Herausgabe der 60,00 DM verlangte. Aus diesem Grund machte sich der Schädiger gemeinsam mit dessen Ehefrau und dem Kläger auf den Weg zur Wohnung des Schädigers. Gleich nach Verlassen der Wohnung des Klägers stieß der immer noch wütende Kläger den späteren Schädiger einige Stufen der Treppe hinunter. Dabei stieß der Schädiger mit einem Knie und auch seinem Kopf gegen das Treppengeländer. Auf der Straße vor dem Wohnhaus des Klägers schlug der Kläger den Schädiger gegen den Kopf ("Kopfnüsse"). Dadurch platzte die Augenbraue des Schädigers auf, und er wurde schmerzhaft an der Nasenwurzel getroffen. Ferner schlug der Kläger dem Schädiger ins Gesicht, wobei der Mund des Schädigers getroffen wurde. Auch schlug der Kläger die Ehefrau des Schädigers ins Gesicht. Dem Schädiger und seiner Ehefrau gelang es schließlich, zu flüchten und sie begaben sich zurück zu...