Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten. Erziehung im Ausland. gewöhnlicher Aufenthalt. Türkei. Verfassungsmäßigkeit. Europarecht
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist dann erfolgt, wenn der Versicherte das Kind in der Bundesrepublik erzogen und sich mit ihm während der Erziehung hier gewöhnlich aufgehalten hat. Wenn die Mutter während der - und zur - Erziehung ihrer Kinder nicht in der Bundesrepublik Deutschland sondern in der Türkei gelebt hat, hat sie ihre Kinder auch nicht in der Bundesrepublik Deutschland erzogen. Auf die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts und des Familienwohnsitzes kommt es dann nicht mehr an.
2. Eine erweiternde Auslegung von § 56 Abs 3 S 2 und 3 SGB 6 mit dem Ziel der Gleichstellung einer Auslandserziehung mit einer Inlandserziehung in den Fällen, in denen der nicht erziehende Ehegatte in der Bundesrepublik Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, während der Erziehende und das Kind im Ausland leben, kommt nicht in Betracht.
Orientierungssatz
Ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG, EWGV 1612/68 und EGV 883/2004 kann in diesem Fall nicht festgestellt werden.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 30. September 2008 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für die Söhne der Klägerin streitig.
Die 1949 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie beantragte am 29. Januar 2004 bei der Beklagten die Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten für ihren 1969 geborenen Sohn A., ihren 1971 geborenen Sohn T. und ihre geborene Tochter S. Zur Begründung führte sie aus, dass sich die Familie seit März 1969 in Deutschland befinde. Die Klägerin übersandte eine Abstammungsurkunde für ihre in Bad O geborene Tochter sowie einen Versicherungsverlauf ihres 1944 geborenen türkischen Ehemannes, beginnend ab 1969. Geburtsurkunden ihrer Söhne fügte sie nicht anbei.
Auf weitere Nachfrage der Beklagten erklärte die Klägerin mit Schriftsätzen vom 6. Juli 2004 und 6. September 2004, dass in Deutschland der Familienwohnsitz der Familie liege. Sie hätten durchgehend Kindergeld für die Kinder erhalten. In der Zeit 3. November 1971 bis 29. November 1975 habe sie sich dem EU-rechtlichen Freizügigkeitsgebot entsprechend in der Türkei aufgehalten.
Unter Zugrundelegung eines von der Klägerin vorgelegten Schreibens der Stadt R vom 29. Juli 2004, das einen Aufenthalt des älteren Sohnes A. in der Bundesrepublik erstmals ab 25. Juni 1979 und einen Aufenthalt des Sohnes T. vom 30. November 1975 bis 11. August 1976, vom 25. Juni 1979 bis 28. September 1979 und seit 1. Oktober 1981 fortlaufend auswies, erkannte die Beklagte eine Kindererziehungszeit und Berücksichtigungszeit für die Tochter der Klägerin in vollem Umfang an. Für den am 3. November 1971 geborenen Sohn T. stellte sie die Zeiten vom 30. November 1975 bis 11. August 1976, 25. Juni 1979 bis 28. September 1979 und 3. Oktober 1981 bis 2. November 1981 als Berücksichtigungszeit fest. Die Anerkennung weiterer Zeiten für die beiden Söhne der Klägerin lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass die Kinder sich nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hätten, sondern im Ausland erzogen worden (Bescheid vom 8.Oktober 2004) seien.
Mit ihrem dagegen am 13. Oktober 2004 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die Ablehnung weiterer Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten rechtswidrig sei. Die Familie habe ihren Hauptwohnsitz in Deutschland gehabt und habe ihn dort immer noch. Eine Rückkehr in die Türkei habe nie vorgelegen. Im Übrigen folge aus höherrangigem Recht, dass für eine Ehefrau eines durchgehend in einem EU-Staat lebenden Bürgers alle Kinder- und Berücksichtigungszeiten anzuerkennen seien.
Im Rahmen weiterer Ermittlungen teilte die Stadt Bad O mit, dass die Klägerin und ihr Sohn T. am 7. Juni 1972 von H nach Bad O zugezogen und am 30. November 1975 nach R verzogen seien. Anfragen beim Einwohnermeldeamt der Stadt H blieben erfolglos. Die Stadt H teilte am 19. Dezember 2005 mit, dass sowohl die Klägerin als auch ihr Kind T. dort nicht zu ermitteln seien.
Mit Gegenstandsbescheid vom 6. Januar 2006 nahm die Beklagte den Bescheid vom 8. Oktober 2004 im Hinblick auf die für die Zeit vom 7. Juni 1972 bis 30. November 1972 (mit Schriftsatz vom 19. Januar 2006 korrigiert auf 29. November 1975) getroffenen Feststellungen nach § 45 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück und erkannte die Zeit vom 7. Juni 1972 bis 11. August 1976 für T. als Berücksichtigungszeit an. In der Anlage zum Bescheid fügte sie einen Versicherungsverlauf bei, der neben den bereits anerkannten Zeiten nunmehr auch die Zeit vom 7. Juni 1972 bis 29. November 1975 als Berücksichtigungszeit auswies.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2006 wies die Be...