Leitsatz (amtlich)

Mutwilligkeit i.S.v. § 114 ZPO eines Hilfsbedürftigen in Sorge- bzw. Umgangsrechtsverfahren bei Anrufung des Familiengerichts vor Einschaltung des Jugendamts.

 

Normenkette

FamFG §§ 76, 156; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

AG Meldorf (Beschluss vom 28.08.2013)

 

Tenor

Der Verfahrenskostenhilfe versagende Beschluss des AG - Familiengericht - Meldorf vom 28.8.2013 wird wie folgt geändert:

Der Antragstellerin wird für ihren Antrag gemäß Schriftsatz vom 16.5.2013 Verfahrenskostenhilfe bewilligt.

Ihr wird Rechtsanwalt ... beigeordnet.

Eine Ratenzahlungsverpflichtung wird nicht angeordnet.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde (§ 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) hat auch in der Sache Erfolg.

Einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten des Verfahrens nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, ist auf Antrag Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (§ 76 Abs. 1FamFG i.V.m. § 114 ZPO).

Die Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Das Verlangen der Antragstellerin (Kindesmutter), die elterliche Sorge betreffend die Kinder ..., geb ...1999 und ... 1996, gerichtlich zu regeln, bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Bereits vor Antragseinreichung hatte die jetzige Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners auf ein Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 13.5.2013 mitgeteilt, dass der Antragsgegner aus Kostengründen der Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter zustimme. Nach § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB hat das Gericht dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, dass das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht. Letzteres ist vorliegend nicht Fall. Die Kindesmutter hat unbestritten vorgetragen, dass die Kinder die Übertragung der elterlichen Sorge - wie von ihr beantragt - wünschen.

Entgegen der Auffassung des AG erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig i.S.v. § 114 ZPO. Für eine solche Annahme reicht es nicht aus, dass sich die Kindesmutter möglicherweise - entgegen ihrer Behauptung - vor Anrufung des Gerichts nicht an das Jugendamt gewandt hat.

Eine Rechtsverfolgung ist dann mutwillig, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftiger Beteiligter seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde.

In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen eine Verpflichtung eines Beteiligten in Sorge- bzw. Umgangsrechtsverfahren besteht, vor der Anrufung des Familiengerichts das Jugendamt zum Zwecke der Vermittlung einzuschalten.

Teilweise wird vertreten, dass vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens stets versucht werden müsse, die Sache durch Inanspruchnahme der kompetenten Hilfe des Jugendamtes außergerichtlich zu klären. Aus der Regelung des § 156 FamFG ergebe sich, dass es das Ziel des Gesetzes sei, vorrangig einvernehmliche Regelungen und gütliche Einigungen zu erzielen. Dies könne durch Vermittlung des Jugendamtes bereits vorgerichtlich auf einer deutlich niedrigen Eskalationsstufe erfolgen (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 8.3.2011 - 10 WF 23/11, Quelle: juris; OLG Stuttgart, FamRZ 2009, 354). Dies gelte nur dann nicht, wenn die Einschaltung des Jugendamtes aussichtslos sei (vgl. OLG Saarbrücken, FamRZ 2010, 310).

Eine andere Auffassung ist der Ansicht, dass die sofortige Inanspruchnahme des Gerichtes ohne vorherige Einschaltung des Jugendamtes nicht mutwillig im Sinne der Verfahrenskostenhilfevorschriften sei, da den Eltern erlaubt sein müsse, die Erfolgsaussichten einer Vermittlung durch das Jugendamt selbst einzuschätzen. Im Übrigen gebe es keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass eine bemittelte Partei vorher grundsätzlich eine außergerichtliche Streitschlichtung versuchen werde (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 3.3.2011 - 8 WF 34/11, Quelle: juris; OLG München FamRZ 2008, 1089).

Im Hinblick auf die Subsidiarität und den Sozialhilfecharakter der Verfahrenskostenhilfe vertritt der Senat grundsätzlich die Auffassung, dass dem Hilfsbedürftigen zunächst abzuverlangen ist, dass er die ihm kostenfreien Angebote zur Erreichung seines Ziels wenigstens versuchsweise wahrgenommen hat, bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt. Eine solche Verpflichtung kann aber nur angenommen werden, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes in einer angemessenen Zeit zum angestrebten Erfolg geführt hätten (so bereits OLG Koblenz FamRZ 2009, 1230; OLG Schleswig, OLGR, 2008, 107; OLG Schleswig, FamRZ 2011, 188).

Zwar sind die Eltern in der praktischen Gestaltung der elterlichen Sorge grundsätzlich frei, eine rechtlich verbindliche Sorg...

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