Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II ist bei der Streitwertbemessung in Ehesachen nicht zu berücksichtigen
Leitsatz (amtlich)
Der Bezug von Arbeitslosengeld II (SGBII) stellt kein Nettoeinkommen im Rahmen der Bestimmung des Streitwerts in einer Ehesache nach § 48 Abs. 3 GKG a.F. dar. Für § 43 FamGKG gilt nichts anderes.
Normenkette
GKG § 48 Abs. 3; FamGKG § 43
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Das AG hat den Streitwert für das Scheidungsverbundverfahren der Parteien auf insgesamt 4.369 EUR festgesetzt, im Einzelnen wie folgt:
Scheidung |
2.469 EUR |
Versorgungsausgleich |
1.000 EUR |
Regelung des Umgangsrechts |
900 EUR |
insgesamt |
4.369 EUR |
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, der eine Höherfestsetzung für die Regelung der Scheidung auf 4.695 EUR erstrebt, weil die Parteien ihr jeweiliges Nettoeinkommen per Juni 2008 (Einleitung des Scheidungsverfahrens) mit 826 EUR und 739 EUR angegeben hätten. Hinsichtlich der Umgangsregelung sei ausdrücklich kein Antrag gestellt worden. Der Gesamtstreitwert belaufe sich deshalb auf 5.695 EUR.
Das AG hat in seiner Nichtabhilfeentscheidung ausgeführt, dass das von der Antragstellerin bezogene ALG II bei der Wertfestsetzung nicht zu berücksichtigen sei, wohl aber der Folgeantrag Umgang. Auf die Antragstellung komme es insoweit nicht an.
II. Das gem. §§ 32 Abs. 2 RVG, 68 GKG (a.F.) zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
1. In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist gem. § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insb. des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Handelt es sich bei einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit um eine Ehesache, ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute einzusetzen. Der Streitwert darf nicht unter 2.000 EUR angenommen werden (§ 48 Abs. 3 GKG a.F.).
a. In Rechtsprechung und Literatur bestehen unterschiedliche Auffassungen in der Frage, ob das seit dem 1.1.2005 eingeführte Arbeitslosengeld II bei den Einkommensverhältnissen der Parteien zu berücksichtigen ist.
Eine Ansicht stellt darauf ab, dass § 48 Abs. 3 GKG die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien zum Maßstab mache, ohne danach zu unterscheiden, aus welcher Quelle das bezogene Einkommen stamme; auch Sozialleistungen beeinflussten unabhängig von deren Zweckbestimmung die wirtschaftliche Situation der Parteien (OLG Schleswig, 1. OLG Schleswig für Familiensachen, Beschl. v. 28.5.2008 - 8 WF 64/06, FamRZ 2009, 75-76 m.w.N.).
Die überwiegende Meinung lehnt die Berücksichtigung der Leistungen nach §§ 19 ff. SGB II (ALG II) ab, weil die gebührenrechtliche Bezugnahme auf das Einkommen der Eheleute ersichtlich an deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anknüpfe. Rein staatliche Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II könnten aber die individuelle Belastbarkeit der Eheleute nicht bestimmen, sondern seien gerade Ausdruck fehlender eigener Mittel der Empfänger (OLG Schleswig, 4. Senat für Familiensachen, Beschl. v. 27.10.2008 - 13 WF 135/08, FamRZ 2009, 1178-1179; OLG Dresden NJW-RR 2007, 1161 ff.; OLG Rostock FamRZ 2007, 1760 ff.; OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 807; OLG Hamburg OLGReport Hamburg 2006, 269 f.; OLG Celle FamRZ 2006, 1690 ff.; OLG Brandenburg FamRZ 2003, 1676 ff.; OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1135 ff.; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 3 ZPO Rz. 16, Stichwort "Ehesachen"; Hüsstege in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 3 Rz. 45). Gegen diese Auslegung des § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG hat auch das BVerfG verfassungsrechtliche Bedenken nicht erhoben (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 26.2.2006 - 1 BvR 144/06, NJW 2006, 1581).
b. Der Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung die letztgenannte Auffassung. Der Bezug von Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II (SGB II) stellt kein für die Streitwertfestsetzung in einer Ehesache relevantes Einkommen dar.
Die gebührenrechtliche Streitwertbestimmung für Ehesachen knüpft für die Bemessung an das dreifache Nettomonatseinkommen und damit an die "erarbeitete" wirtschaftliche Leistungsfähigkeit an. Staatliche Unterstützungsleistungen wie das Arbeitslosengeld II stellen aber kein "Nettoeinkommen" dar, schon weil mit solchen Sozialleistungen (als Mittel der Grundsicherung) nur das Existenzminimum gesichert wird. Der Hinweis auf § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach zum Einkommen "alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert" gehören, hilft nicht weiter, weil danach bei ganz anderer Zielrichtung das konkret verfügbare "flüssige" Einkommen und Vermögen im Vordergrund steht. Die Streitwertbemessung soll dagegen im konkreten Fall die Festsetzung angemessener Gebühren nach sozialen Gesichtspunkten unter vorrangiger Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichen: je besser die Verhältnisse, also je höher die Leistungsfähigkeit, desto höher die Gebühren. Das entspricht dem "normalen" Gerechtigkeits...