Leitsatz (amtlich)
Verkehrssicherungspflicht der Straßenbaubehörde in Bezug auf mobile Verkehrsschilder nach Beendigung einer Baustelle und Ablauf der Genehmigungsdauer
Normenkette
BGB §§ 254, 839; GG Art. 34; StrWG SH § 10 Abs. 4; StVO § 3 Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Der Senat schlägt den Parteien vor, sich gem. § 278 Abs. 6 ZPO wie folgt zu vergleichen:
1. Die Beklagte zahlt an den Kläger 1.000,00 EUR.
2. Mit diesem Vergleich und der Zahlung gem. Ziffer 1 sind alle Ansprüche des Klägers aus dem Verkehrsunfall vom 01.12.2016 (gegen 02:45 Uhr, Fahrradweg an der Straße L. in Richtung H.-Straße in K.) erledigt, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
3. Die Kosten des Rechtsstreites in beiden Rechtszügen einschließlich des Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.
II. Die Parteien erhalten Gelegenheit, zu dem vorstehenden Vergleichsvorschlag des Senats bis spätestens 05.03.2020 abschließend Stellung zu nehmen.
III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf bis zu 2.000,00 EUR festzusetzen.
Gründe
I. Der Kläger beansprucht von der Beklagten wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten Schadenersatz aufgrund eines Unfalls, den er am 01.12.2016 auf dem Fahrradweg an der Straße L. in K. erlitten hat. Gegen ca. 02:45 Uhr morgens befuhr der Kläger mit seinem Mini-Klapprad der Marke xxx (Sattelhöhe ca. 1 m, Lenkerhöhe ca. 87 cm) mit ca. 20 km/h bei Nieselregen den rechts der Straße L. belegenden Radweg stadteinwärts in Richtung H.-Straße. Aus ungeklärter Ursache war ein mobiles Verkehrsschild (Gefahrzeichen nach § 40 Abs. 6 StVO) quer über den Fahrradweg gekippt. Der Kläger stürzte über den Edelstahlpfahl des Verkehrsschildes, flog über den Lenker und erlitt - trotz Helms - erhebliche Verletzungen. Über den Rettungsdienst kam er in die Notaufnahme des UKSH Kiel und musste dort wegen querfrakturierter Zähne sowie diverser offener Schürfwunden an der Oberlippe und im Gesicht behandelt werden. Unter anderem waren 2/7 des rechten und 1/3 des linken Schneidezahns durch den Sturz abgebrochen.
Das mobile Verkehrsschild gehörte der Firma L. F. (...), die im Auftrag der Beklagten (Tiefbauamt) in der Nähe der Unfallstelle (an der dortigen Bushaltestelle) eine Baustelle betrieben hatte. Unstreitig war diese Baustelle bereits Wochen vor dem Unfall beendet und aufgehoben worden, wobei das Gefahrenschild am rechten Gehwegrand ohne Funktion abgestellt war. Dem Kläger, der den Radweg häufiger benutzte, war dieses mobile Verkehrsschild schon Tage vor dem Unfall rechts am Gehweg stehend aufgefallen. Noch am 29.11.2016 (2 Tage vor dem Unfall) hatten Mitarbeiter der Beklagten im Zuge einer Begehung den Zustand der Straße L. kontrolliert, zu diesem Zeitpunkt stand das Schild noch am rechten Gehwegrand in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle.
Die Beklagte hat behauptet, dass die Baustelle zum Unfallzeitpunkt zwar nicht mehr betrieben worden sei, eine Abnahme der Bauarbeiten der Firma F. aber noch ausgestanden hätte (Beweis: Zeugnis D.). Die Beklagte hat ferner behauptet, das Verkehrsschild sei offensichtlich mutwillig umgestürzt und verschoben worden. Eine permanente Kontrolle bzw. lückenlose Überwachung der Straße sei wirtschaftlich nicht darstellbar.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 15.11.2019 die Klage abgewiesen. Ein Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten läge nicht vor. Die Pflicht zum Entfernen von Verkehrszeichen nach Beendigung einer Baustelle treffe den Bauunternehmer, nicht aber den öffentlich-rechtlichen Baulastträger. Im Übrigen sei die Beklagte für das strafbare Verhalten unbekannter Dritter nicht verantwortlich.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 961,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (08.05.2019) zu zahlen und
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle aus dem streitgegenständlichen Unfall vom 01.12.2016 noch entstehenden Schäden zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
II. 1. Hier kommt eine Haftung der Beklagten als Trägerin der Straßenbaulast (§ 13 StrWG SH) gem. Art. 34 GG i.V.m. §§ 839 BGB, 10 Abs. 4 StrWG SH dem Grunde nach in Betracht.
Die Beklagte kann sich im Außenverhältnis nicht dadurch entlasten, dass sie den Kläger wegen der geltend gemachten Pflichtverletzung zum Entfernen von Verkehrszeichen (hier: Gefahrzeichen nach § 40 Abs. 6 StVO) nach Beendigung der Baustelle an den Bauunternehmer verweist. Die Firma F. handelte beim verkehrsregelnden Betrieb der Baustelle in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes als Verwaltungshelferin (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 29.07.2015, I-11 U 32/14, veröffentlicht in juris). Die Verkehrsregelung mittels Verkehrszeichen (§ 45 StVO) ist eine hoheitliche Aufgabe. Die entsprechende Anordnung sowie auch die Entfernung von Verkehrszeichen obliegt ...