Leitsatz (amtlich)

Im Fall der Vorlegung von Urkunden i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 2 GBO kann das Grundbuchamt nur dann den Nachweis der Erbfolge durch einen Erbschein verlangen, wenn es die Erbfolge durch die vorgelegte Urkunde nicht für nachgewiesen hält. Voraussetzung ist jedoch, das nach erschöpfender rechtlicher Würdigung konkrete Zweifel bleiben, die nur durch weitere Ermittlungen geklärt werden können.

 

Normenkette

GBO § 35 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Itzehoe (Beschluss vom 16.06.2006; Aktenzeichen 4 T 242/06)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss und die Zwischenverfügung des AG Pinneberg vom 5.5.2006 bzw. 30.3.2006 werden aufgehoben.

Das AG - Grundbuchamt - wird angewiesen, die Eintragung der Beteiligten in Abteilung I des Grundbuchs von ....nicht von der Vorlage eines Erbscheins abhängig zu machen.

 

Gründe

Die am 2.1.2006 verstorbene und noch im Grundbuch als Eigentümerin des eingangs bezeichneten Grundstücks eingetragene N. hinterließ drei inzwischen eröffnete letztwillige Verfügungen:

1. handschriftliches gemeinsames Testament mit dem (am 8.4.1964 sodann verstorbenen) Ehemann W.N. vom 1.10.1963:

"Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein. Den Sohn E.P. (...) der unterzeichneten Frau N. geb. R. setzen wir zum Alleinigen Nacherben auf dasjenige ein, was von der Erbschaft bei dem Tode des Überlebenden von uns übrig sein wird".

2. Notarielles Einzeltestament vom 14.9.2000:

"Wir haben am 1.10.1963 privatschriftlich in Hamburg ein gemeinsames Testament errichtet, in dem mein Sohn E.P.zum Schlusserben eingesetzt worden war. Dies geschah seinerzeit aber lediglich im Hinblick auf die Verhältnisse in der damals existierenden DDR. Der Überlebende sollte nicht gehindert sein, seinerseits anders von Todes wegen zu verfügen.

Dies vorausgeschickt, setze ich zu meiner Alleinerbin ein Frau L. (...)."

3. handschriftliches Einzeltestament vom 25.11.2000:

"Über so viel Charakterlosigkeit meines lieblosen Sohnes E., möchte ich das Ihm kein Pflichtteil zu steht".

Die Beteiligte hat am 22.3.2006 unter Beifügung der genannten letztwilligen Verfügungen beim AG - Grundbuchamt - beantragt, sie als Eigentümerin des eingangs bezeichneten Grundstücks in das Grundbuch einzutragen. Das AG hat der Beteiligten aufgegeben, einen Erbschein einzureichen, weil aufgrund der vorliegenden Testamente die Erbfolge durch das Grundbuchamt nicht zweifelsfrei bestimmt werden könne. Nachdem die Beteiligte dies ablehnte, hat das AG den Eintragungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte Beschwerde eingelegt, der das AG nicht abgeholfen hat. Das LG hat die Beschwerde der Beteiligten zurückgewiesen. Gegen den Beschluss des LG richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten.

Die gem. §§ 78, 80 GBO zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache Erfolg, weil die Entscheidung des LG auf einer Rechtsverletzung beruht (§§ 78 GBO, 546 ZPO).

Das LG hat ausgeführt, das Grundbuchamt sei berechtigt, einen Erbschein zu verlangen. Es sei nicht eindeutig, ob das notarielle Testament angesichts des vorausgegangenen gemeinschaftlichen Testaments überhaupt wirksam sei. Im Falle der Unwirksamkeit läge keine öffentliche Urkunde vor, auf die der Eintragungsantrag zu stützen wäre. Das Grundbuchamt habe zwar eine Auslegungspflicht, nicht aber die Verpflichtung, weitere tatsächliche Ermittlungen über den Willen des Erblassers anzustellen. Diese wären hier aber erforderlich, da das Testament nichts Eindeutiges über die Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügung aussage.

Diese Entscheidung ist mit einem Rechtsfehler behaftet. Das LG hat den sich aus den Akten ergebenden Sachverhalt zur Frage der Wirksamkeit des notariellen Testaments nicht erschöpfend gewürdigt (§ 25 FGG; Keidel/Kuntze/Winkler, FG, 15. Aufl., § 27 Rz. 40) und zudem gesetzliche Auslegungsregeln und naheliegende Erfahrungssätze unberücksichtigt gelassen (Keidel/Kuntze/Winkler, FG, 15. Aufl., § 27 Rz. 21, Rz. 30). Da der Sachverhalt zur Beurteilung der Frage ausreicht, ist das Rechtsbeschwerdegericht befugt, unter Absehen von einer Zurückverweisung über die Sache selbst zu entscheiden. Dies führt zu einem entgegengesetzten Ergebnis.

Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GBO kann der Nachweis der Erbfolge anstelle durch Erbschein auch durch Vorlage einer in einer öffentlichen Urkunde enthaltenen letztwilligen Verfügung und die Niederschrift über ihre Eröffnung geführt werden. In diesem Fall kann das Grundbuchamt nur dann die Vorlegung eines Erbscheins verlangen, wenn es die Erbfolge durch diese Urkunde nicht für nachgewiesen hält. Voraussetzung ist jedoch, dass nach erschöpfender rechtlicher Würdigung konkrete Zweifel bleiben, die nur durch weitere Ermittlungen geklärt werden können (OLG Stuttgart, Rechtspfleger 1992, 154).

Im Rahmen der zuvor vom Grundbuchamt vorzunehmenden Auslegung und Würdigung der notariell beurkundeten letztwilligen Verfügung ist es nicht erforderlich, dass alle etwaigen Bedenken gegen ihre Wirksamkeit in derselben Form ausgeräumt werden müssen (Demharter, GBO, 23. Aufl., § 35...

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