Entscheidungsstichwort (Thema)
Spruchrichterprivileg und Rechtskraft bei Vollstreckbarerklärung eines Anwaltsvergleichs
Normenkette
ZPO § 796c; BGB § 839 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Kiel (Beschluss vom 07.04.2016) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Kiel vom 07.04.2016 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist indes unbegründet, denn das LG hat die beantragte Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage gegen den Antragsgegner zu Recht versagt.
Prozesskostenhilfe kann nur gewährt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat, nicht mutwillig erscheint und die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht in der Lage ist die Kosten der Prozessführung zu tragen (§ 114 ZPO). Hier fehlt es an der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage.
Der Antragsteller begehrt mit der beabsichtigten Klage Schadenersatz von dem Antragsgegner, der als Notar gemäß § 796c ZPO einen Anwaltsvergleich des Antragstellers mit der damaligen L-Bank vom 07.11.2001 durch Beschluss vom 24.11.2004 für die H AG für vollstreckbar erklärt hat.
Zu Recht hat das LG einen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Notar unter Hinweis auf das Spruchrichterprivileg gemäß § 839 Abs. 2 BGB verneint. Es kann dahin stehen, ob § 839 Abs. 2 BGB direkt anwendbar ist, wie das LG unter Hinweis auf Zöller-Geimer, 31. Aufl., § 796c Rn. 1 ("genuin richterliche Aufgabe") meint, oder ob - wohin der Senat tendiert - § 839 Abs. 2 BGB erst über die Verweisung in § 19 Abs. 1 S. 3 BNotO Anwendung findet. Im letzten Sinne sind die Ausführungen bei Wöstmann (Handbuch der Notarhaftung, 2. Aufl., Rn. 294) und Reitmann (in ZNotP 2006, 242 Ziff. I) zu verstehen.
1. Nach § 839 Abs. 2 S. 1 BGB ist dann, wenn ein "Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache" seine Amtspflicht verletzt, zusätzliche Haftungsvoraussetzung, dass die Pflichtverletzung gleichzeitig eine Straftat darstellt. Damit soll nicht nur die Unabhängigkeit des Richters bei der Entscheidung geschützt werden. Die Norm soll zumindest auch die Durchbrechung bzw. Umgehung der Rechtskraft verhindern und dient damit der Rechtssicherheit und der Erhaltung des durch das Urteil geschaffenen Rechtsfriedens (vgl. Staudinger/Wöstmann (2013) BGB § 839 Rn. 314).
Unter "Urteil" im Sinne dieser Norm sind daher nicht nur Urteile im rein prozesstechnischen Sinn zu verstehen, sondern alle auch in Beschlussform ergehenden Entscheidungen ("urteilsvertretende Erkenntnisse", Papier in MüKo-BGB, 6. Aufl., § 839, Rn. 324 ff.), die abschließend sind und ein Erkenntnisverfahren, d.h. ein Verfahren über den Bestand von Rechten oder ein vergleichbares gerichtliches Verfahren beenden, und zwar unter Selbstbindung des Gerichts, so dass sie also nicht nur formeller, sondern auch materieller Rechtskraft fähig sind, und die ferner einem Urteil im technischen Sinne in allen wesentlichen Voraussetzungen - Gewährung des rechtlichen Gehörs, ggf. Erhebung von Beweisen, Begründung des Spruchs - gleichzusetzen sind (Staudinger/Wöstmann, a.a.O., § 839 Rn. 324; Palandt-Sprau, BGB, 75. Aufl., § 839 Rn. 65;OLG Schleswig, Urt. v. 04.12.1992, Az.: 11 U 181/90, SchHA 1993, 91 - Tz. 12).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, obwohl der Antragsgegner als Notar tätig geworden ist. Mit der Vollstreckbarerklärung eines Anwaltsvergleichs nach § 796c ZPO ist dem Notar nämlich eine richterliche Aufgabe übertragen worden (Zöller-Geimer, a.a.O., § 796c Rn. 1; Hoffmann in Beck'scher Online-Kommentar, ZPO, 22. Edition, § 796c Rn. 3). Er hat - wie das Prozessgericht im Rahmen von § 796b ZPO - in richterlicher Unabhängigkeit u.a. zu prüfen, ob der Anwaltsvergleich wirksam ist und seine Anerkennung nicht gegen die öffentliche Ordnung verstößt (§§ 796c Abs. 1 S. 2, 796a Abs. 3 ZPO; zum weiteren Umfang der Prüfung vgl. auch Wolfsteiner in MüKo-ZPO, a.a.O., § 796a Rn. 14). Diese Prüfung erfolgt nach Anhörung der Parteien (§§ 796c Abs. 1 S. 2, 796b Abs. 2 ZPO).
Die Vollstreckbarerklärung entfaltet auch materielle Rechtskraft. Zwar ist diese Frage umstritten (vgl. Hoffmann, a.a.O., § 796b Rn. 3f mwN; für Rechtskraft: Münzberg, NJW 1999, 1357 (1358 unter 2. a); Zöller-Herget, a.a.O., § 767 Rn. 20; anders aber: Zöller-Geimer, a.a.O., § 796a Rn. 24). Für eine zumindest beschränkte Rechtskraft spricht aber die Tatsache, dass der Notar - wie ein Gericht - die Wirksamkeit des Vergleichs prüft (§§ 796a Abs. 3, 796c Abs. 1 S. 2 ZPO), die damit bindend zwischen den Parteien festgestellt wird. Zumindest in diesem Umfang tritt die Rechtskraft ein (wie hier: LG Halle, NJW 1999, 3567).
Beide Schutzrichtungen des § 839 Abs. 2 S. 1 ZPO (Schutz der richterlichen Unabhängigkeit und Rechtssicherheit) treffen somit auch bei der Tätigkeit des Notars im Rahmen des § 796c ZPO zu. Die Norm findet auch hier Anwendung (so auch allerdings ohne weitere Erläuterung: Zöller-Geimer, § 796c Rn. 5; Wieczorek/Schü...