Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgfaltsanforderungen bei Wendemanöver auf der Fahrbahn
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Wendemanöver auf der Fahrbahn erfordert äußerste Sorgfalt gegenüber dem Verkehr aus beiden Richtungen. Erforderlich ist dabei in der Regel Umblick und Rückschau nicht nur durch den Rückspiegel, sondern ein Schulterblick und die ständige Beobachtung des Verkehrs nach beiden Seiten.
2. Kommt es in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Wendemanöver zu einer Kollision mit einem im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeug, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Wendenden. Um in diesem Fall den Anscheinsbeweis zu widerlegen, muss der Wendende das Vorliegen eines sogenannten atypischen Geschehensablaufs darlegen und ggf. nachweisen.
3. Der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung setzt einen entsprechenden Nutzungswillen voraus. Daran mangelt es, wenn der Geschädigte sein nicht mehr fahrtaugliches Fahrzeug in unrepariertem Zustand belässt und erst mehr als ein Jahr nach dem Unfall ein entsprechendes Ersatzfahrzeug anschafft.
Normenkette
BGB § 249; StVG §§ 7, 17; StVO §§ 4, 9 Abs. 5
Gründe
Die Berufung des Klägers hat im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Ausführungen des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 13.05.2021 und aus dem Schriftsatz vom 05.06.2021 rechtfertigen keine andere Entscheidung.
Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte gem. §§ 7, 17 StVG, 4 Abs. 1 StVO i.V.m. § 115 VVG nach einer Quote von 60 % zum Schadenersatz aus dem Verkehrsunfall vom 29.04.2019 verurteilt. Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge hat das Landgericht einen Pflichtverstoß des Klägers aus § 9 Abs. 5 StVO angenommen und diesen mit 40 % bewertet. Als Wiederbeschaffungsaufwand hat das Landgericht einen Betrag in Höhe von 6.450,00 EUR (Wiederbeschaffungswert 10.500,00 EUR ./. Restwert 4.050,00 EUR) zugrunde gelegt. Dies findet die einstimmige Billigung durch den Senat.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
1. Haftungsquote 40 % zu Lasten des Klägers
Im Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung gem. § 17 Abs. 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist dabei eine Abwägung und Gewichtung der jeweiligen Verursachungsbeiträge vorzunehmen, wobei eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eine genaue Klärung des Unfallhergangs geboten ist (BGH, Urteil v. 28.02.2012, VI ZR 10/11, Juris, Rn. 6; OLG Frankfurt, Urteil v. 31.03.2020, 13 U 226/15, Juris, Rn. 43). Im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige oder aber zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Die jeweils ausschließlich unstreitigen oder nachgewiesenen Tatbeiträge müssen sich zudem auf den Unfall ausgewirkt haben. Der Beweis obliegt demjenigen, welcher sich auf einen in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkt beruft (BGH, Urteil v. 13.02.1996, VI ZR 126/95, NZV 1996, 231, 232).
Danach hat das Landgericht zu Recht zu Lasten des Klägers im Zusammenhang mit dem nach links gerichteten Wendemanöver einen Verstoß gegen die Sorgfaltsanforderungen nach § 9 Abs. 5 StVO berücksichtigt. Beim Wenden hat sich der Fahrzeugführer so zu verhalten, dass "eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist". Wenden erfordert äußerste Sorgfalt gegenüber dem Verkehr aus beiden Richtungen (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 9 Rn. 50 m.w.N.). Ein solches Fahrverhalten ist daher nur dann zulässig, wenn auf der Fahrbahn niemand gefährdet werden kann. Die Einhaltung äußerster Sorgfalt erfordert dabei in der Regel einen Umblick und Rückschau nicht nur durch den Rückspiegel, sondern durch einen Schulterblick und durch ständige Beobachtung des Verkehrs nach beiden Seiten (OLG Koblenz, Urteil vom 08.06.2020, 12 U 18/20, NJW-RR 2020. 977 ff., Juris Rn. 17). Dabei muss er den fließenden Verkehr aus beiden Richtungen vorher vorbeilassen und darf ihn nicht mehr als unvermeidbar behindern. Kommt es in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Wendemanöver zu einer Kollision mit einem im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeug, so spricht nach allgemeiner - auch von dem Senat geteilter Auffassung - der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Wendenden (BGH, Urteil vom 04.06.1985, VI ZR 15/84, Juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.10.2015, I-1 U 46/15, Juris; OLG Koblenz, Urteil vom 08.06.2020, a.a.O.). Um in diesen Fällen den Anscheinsbeweis zu widerlegen und der Haftung zu entgehen, ist es an dem Wendenden, das Vorliegen eines sogenannten atypischen Geschehensablaufs darzulegen und zu beweisen. Wid...