Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsbehandlung bei Magersucht
Leitsatz (amtlich)
Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Betreuter ist nicht in jedem Fall unzulässig.
Normenkette
BGB § 1906
Verfahrensgang
LG Kiel (Aktenzeichen 3 T 737/01) |
AG Kiel (Aktenzeichen 2 XVII R 469) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückver-wiesen.
Gründe
I. Die Beteiligte wurde mit Beschluss des Amtsgerichtes vom 11.6.2001 für die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Gesundheitssorge sowie Vertretung gegenüber Behörden und Institutionen zur Betreuerin der Betroffenen bestellt. Am 27.7.2001 hat die Beteiligte beantragt, ihren Aufgabenkreis um die Wahrnehmung der Aufenthaltsbestimmung zu erweitern und die Unterbringung der Betroffenen zu genehmigen. Das AG hat die beantragte Genehmigung der Unterbringung mit Beschluss vom 1.11.2001 verweigert. Dagegen hat die Beteiligte fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 3.12.2001 hat das AG den Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises der Beteiligten zurückgewiesen. Diesen Beschluss hat die Beteiligte nicht angefochten. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichtes vom 1.11.2001 hat das LG mit Beschluss vom 28.12.2001 zurückgewiesen. Das LG hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 BGB lägen nicht vor. Die Betroffene leide zwar an einer geistig seelischen Behinderung in Form einer chronifizierten Anorexia nervosa (Magersuchterkrankung) und sei dringend behandlungsbedürftig. Sie sei jedoch hinreichend bewusstseinsklar und werde sich der erforderlichen Behandlung auch im Rahmen einer Unterbringung widersetzen. In Betracht komme daher nur eine zwangsweise Behandlung. Eine solche Behandlung sei im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB indessen nicht zulässig. Deshalb sei eine Unterbringung der Betroffenen sinnlos. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidung des Landgerichtes wird auf den Beschluss vom 28.12.2001 (Bl. 53–55 d.A.) Bezug genommen. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten.
II. Die sofortige weitere Beschwerde ist gem. §§ 70m Abs. 1, 70g Abs. 3 S. 1, 70m Abs. 2, 70d Abs. 1 Nr. 3, 27 Abs. 1, 29 FGG zulässig. Sie hat in der Sache mit der Maßgabe Erfolg, dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurück zu verweisen ist. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO).
Das LG hat zu Unrecht angenommen, dass eine Zwangsbehandlung im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB generell unzulässig ist. Entsprechende Zwangsbehandlungen sind vielmehr nach den allgemein für Behandlungen geltenden Grundsätzen dann zulässig, wenn der Betroffene einwilligungsunfähig und die Zwangsbehandlung im Hinblick auf drohende gewichtige Gesundheitsschäden verhältnismäßig ist (BT-Drucks. 11/4528, 72, 140 ff.). Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der vom LG zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 11.10.2000 (BGH v. 11.10.2000 – XII ZB 69/00, BGHZ 145, 297 = MDR 2001, 216), in der sich der BGH unter anderem mit der Entscheidung des OLG Zweibrücken vom 16.11.1999 (OLG Zweibrücken v. 16.11.1999, FamRZ 2000, 1114) auseinandergesetzt hat. Darin heisst es vielmehr ausdrücklich:
Da der Betroffene hier bezüglich seiner Behandlungsbedürftigkeit nach den bisherigen Feststellungen nicht einwilligungsfähig ist, verhindert seine Weigerung zwar unter weiteren Voraussetzungen nicht die Behandlung, wenn sein Betreuer zustimmt. Allerdings ist bei der Beurteilung, ob gegen den Willen des nicht einsichtsfähigen Betroffenen eine Unterbringung angeordnet werden kann, zu berücksichtigen, dass das Recht auf persönliche Freiheit auch dem psychisch Kranken in gewissen Grenzen die „Freiheit zur Krankheit” einräumt (…). Diese Freiheit lässt auch bei einem einwilligungsunfähigen Betroffenen weder eine Unterbringung noch eine Zwangsbehandlung in jedem Falle als verhältnismäßig erscheinen.”
Auch der Senat hat eine Zwangsbehandlung im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB in seiner Entscheidung vom 3.11.1999 (OLG Schleswig v. 3.11.1999 – 2 W 154/99, FamRZ 2000, 1122 = OLGReport Schleswig 2000, 139) nicht generell als unzulässig angesehen, sondern nur dann, wenn die Zwangsbehandlung unverhältnismäßig ist.
Demgemäß wäre eine Unterbringung der Betroffenen zum Zwecke der Heilbehandlung im vorliegenden Fall gem. § 1906 Abs. 1 BGB zulässig, wenn die Betroffene einwilligungsunfähig und ihre Zwangsbehandlung im Rahmen einer Unterbringung erforderlich und im Hinblick auf drohende gewichtige Gesundheitsschäden verhältnismäßig wäre. Der bisherige Akteninhalt rechtfertigt indessen nicht die Annahme, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt wären. So hat das LG nicht hinreichend aufgeklärt, ob die Betroffene im Dezember 2001 noch einwil...