Entscheidungsstichwort (Thema)
Girokonto. Zahlungsdienstvertrag. Kundenkennung. Divergenz. belegloser Zahlungsverkehr
Leitsatz (amtlich)
1. Seit dem 31. August 2009 (= Inkrafttreten des VerbrKrRL-UG vom 29. Juli 2009) handelt es sich bei einem Girovertrag um einen Zahlungsdienstvertrag i.S.v. §§ 675 c ff. BGB, der durch standardisierte Vereinbarungen (AGB) ergänzt wird.
2. Banken sind gemäß § 675 r Abs. 1 BGB berechtigt, einen Zahlungsvorgang ausschließlich anhand der von dem Zahlungsdienstnutzer (d.h. Zahler oder Zahlungsempfänger) angegebenen Kundenkennung auszuführen. Der bisherige Grundsatz der "formalen Auftragsstrenge", nach dem grundsätzlich die Empfängerbezeichnung maßgeblich war, ist überholt.
3. Banken sind zwar berechtigt, jedoch nicht verpflichtet sind, einen Zahlungsvorgang ausschließlich anhand der Kundenkennung auszuführen. Im vollautomatisierten beleglosen Überweisungsverkehr kann bei einer Divergenz zwischen Kundenkennung und Zahlungsempfänger (Empfängerbezeichnung) zwar ein manuelles Eingreifen vom Zahlungsdienstleister nicht verlangt werden, wenn aber die Bank ausnahmsweise im Rahmen einer nicht automatisierten, manuellen Prüfung die Divergenz erkennt, so ist sie analog § 675 r Abs. 3 BGB verpflichtet, den Zahler unverzüglich hierüber zu unterrichten. Wenn das Konto des Zahlers bereits belastet worden ist, ist ihm der Überweisungsbetrag unverzüglich wieder gutzuschreiben.
4. Wird ein Girokonto vertragswidrig -entgegen der Erklärung nach § 8 Geldwäschegesetz- permanent für fremde Rechnung genutzt, ist die Bank nicht verpflichtet, den Kunden vor Stornierung entsprechender Kontogutschriften auf die unzulässige Zahlungsverkehrspraxis hinzuweisen.
Orientierungssatz
Die Bank ist bei erkannter Divergenz zwischen Kundenkennung und Zahlungsempfänger analog § 675 r Abs. 3 BGB verpflichtet, den Zahler unverzüglich zu informieren und den Überweisungsbetrag wunschgemäß wieder zurückzuleiten.
Normenkette
BGB §§ 280, 670, 675c ff., §§ 675r, 675t; ZPO § 256; Geldwäschegesetz § 8; Banken AGB Ziffer 8.1
Verfahrensgang
LG Kiel (Entscheidung vom 09.12.2011; Aktenzeichen 8 O 57/11) |
Tenor
Der Antrag der Berufungsklägerin vom 5. Januar 2012 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Klägerin möchte als Inhaberin des Girokontos Nr. 7xxx festgestellt wissen, dass der beklagten Bank keine Forderung mehr in Höhe von 12.962,76 EUR nebst Zinsen aus dem vorgenannten Konto zusteht. Der Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge G., war gewerblich unter der Bezeichnung "G...-Serviceleistungen" tätig. Er war - nach eigener Erklärung der Klägerin - eigentlich Kunde einer Sparkasse. Da er aber finanzielle Probleme hatte und das Konto dort gepfändet war, hatten sich die Klägerin und der Zeuge darauf geeinigt, dass der Zahlungsverkehr des Zeugen ab Februar 2009 über das Konto der Klägerin laufen sollte. Entsprechende Gutschriftsbeträge leitete die Klägerin nach Eingang auf dem Konto in bar an den Zeugen G. weiter. Diese Praxis war der beklagten Bank seit Anfang Juli 2010 bekannt. Die Beklagte behauptet, ihre zuständige Sachbearbeiterin, die Zeugin N., hätte in der Folgezeit die Klägerin mehrfach (telefonisch im Wochentakt) auf die Unzulässigkeit dieser Überweisungspraxis hingewiesen.
Am 23. August 2010 gingen auf dem o. g. Girokonto der Klägerin zwei Gutschriften in Höhe von 6.000,00 EUR (Auftraggeber P.) und in Höhe von 7.420,00 EUR (Auftraggeber "P- GmbH") ein, bei denen als Zahlungsempfänger jeweils "G...-Serviceleistungen" angegeben war. Die Klägerin hob am 24. August 2010 einen Betrag in Höhe von 6.500,00 EUR und am 25. August 2010 einen weiteren Betrag in Höhe von 6.900,00 EUR ab und will - was streitig ist - diese Beträge anschließend dem Zeugen G. in bar ausgezahlt haben. Wegen der Divergenz zwischen Kontonummer und der Bezeichnung des Zahlungsempfängers informierte die Beklagte die jeweils anweisenden Firmen (Zahler) und überwies die Geldbeträge wunschgemäß am 26. August 2010 zurück. Die jeweiligen Gutschriftseingänge vom 23. August 2010 stornierte die Beklagte mit entsprechenden Buchungen vom 25. August 2010. Dies hatte den streitigen Sollsaldo auf dem Konto der Klägerin in Höhe von 12.962,76 EUR zur Folge.
Der Zeuge G. befindet sich zwischenzeitlich in der Insolvenz.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 15. November 2010 die Kontoverbindung mit der Klägerin fristlos und stellte den Sollsaldo per 15. November 2010 in Höhe von 12.962,76 EUR zur sofortigen Rückzahlung fällig. Ferner machte sie von ihrem AGB-Pfandrecht Gebrauch und meldete den Schuldenstand an die SCHUFA.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Dezember 2011 abgewiesen und u.a. ausgeführt, dass die Beklagte berechtigt gewesen sei, gemäß Ziffer 8 Abs. 1 ihrer AGB die beiden Gutschriften zu stornieren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Urteils Bezug genommen.
Nachdem die Klägerin noch im ...