Leitsatz (amtlich)
1. Eine Schenkungsvereinbarung nach französischem Recht "entre vifs" ist Verfügung von Todes wegen in Form eines Erbvertrags gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. d) EuErbVO, wenn durch sie einem Vertragspartner beim Tod des anderen Vermögenswerte übertragen werden. Maßgeblich ist insbesondere, wenn mit der Vereinbarung auch erbrechtlich zwingende Regelungen für den Todesfall erfasst und geregelt werden.
2. Zur Rechtswahl nach Art. 83 EuErbVO.
3. Zur Frage der besseren Eignung eines Gerichts eines anderen Staates im Sinne von Art. 6 lit. a) EuErbVO zur Entscheidung, wenn die dortige aktuelle gesetzliche Erbfolge nicht leicht zu ermitteln ist, eine Verfügung von Todes wegen die bei ihrer Errichtung geltende, leicht zu bestimmende gesetzliche Erbfolge aber zugrunde gelegt und aufgegriffen hat.
Normenkette
EUV 650/2012 Art. 3-4, 6, 83; IntErbRVG § 47
Tenor
Auf die Beschwerde werden der Beschluss des Amtsgerichts Lübeck vom 02.02.2023 und dessen Verfahren aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über den Erbscheinsantrag der Beschwerdeführerin vom 29.03.2022 zurückverwiesen.
Das Amtsgericht hat auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 5.000,00 EUR.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin war die Witwe des Erblassers, die beiden weiteren Beteiligten sind seine Töchter aus einer früheren Ehe. Weitere Abkömmlinge sind nicht bekannt.
Der Erblasser, französischer Staatsangehöriger, und die Beschwerdeführerin, Deutsche, heirateten am 11.04.1992 in Frankreich. Sie hatten mit vor dem Notar B in Jouy-en-Josas geschlossenem Ehevertrag vom 14.02.1992 für die beabsichtigte Ehe unbeschränkte Gütertrennung vereinbart. Sie lebten in Frankreich in einer Immobilie des Erblassers. Sie beurkundeten vor demselben Notar am 02.03.1994 zwei Schenkungsverträge auf den Todesfall in selbständigen Urkunden. Der Erblasser schenkte der Beschwerdeführerin unter Lebenden - unter Vorbehalt eines jederzeit ausübbaren einseitigen Widerrufsrechts - für den Fall, dass diese ihn überlebt, das uneingeschränkte Eigentum an seinen beweglichen und unbeweglichen Gütern, für den Fall der Existenz von pflichtteilsberechtigten Nachkommen am Todestag und deren Herausgabeverlangens beschränkt auf den frei verfügbaren Erbschaftsteil, der zu dem Zeitpunkt gesetzlich zulässig sei und von der Beschenkten gewählt werde. Sofern die Beschenkte nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten ihr Wahlrecht ausübe, gelte der im Rahmen des Niessbrauchs frei verfügbare Erbschaftsteil als gewählt. Seinen lebenden Abkömmlingen entzog der Erblasser das ihnen nach Art. 1098 CC zustehende Substitutionsrecht. Der Notar sollte die Urkunde in das zentrale Register für letztwillige Verfügungen eintragen.
Etwa 2011 siedelten die Eheleute nach Schleswig-Holstein über, weil die Beschwerdeführerin wieder in der Nähe ihrer Kinder leben wollte. Der Erblasser verkaufte die Immobilie und legte den Verkaufserlös in Wertpapieren und Lebensversicherungen in Frankreich an. Aufgrund des Altersunterschieds zur Beschwerdeführerin erwartete er, nach ihr zu versterben, und beabsichtigte, dann wieder nach Frankreich zu ziehen.
Das Nachlassgericht hat am 24.06.2022 den Schenkungsvertrag als Verfügung von Todes wegen eröffnet.
Die Beschwerdeführerin hat zunächst beim Nachlassgericht einen unbeschränkten Erbschein beantragt, der sie und die weiteren Beteiligten zu Erben von je 1/3 ausweist (7). Sie hat den Antrag später beschränkt auf den im Inland belegenen Nachlass.
Die Beschwerdeführerin hat gemeint, die Eheleute hätten keine Rechtswahl für das französische Recht getroffen. Die Schenkungsverträge seien Verträge unter Lebenden, hätten im Grundsatz nichts mit der Erbfolge zu tun, seien frei widerruflich gewesen und hätten mit der nach französischem Recht vereinbarten Gütertrennung im Zusammenhang gestanden. Seinerzeit sei die Schenkung auf den Todesfall im französischen Recht als Testament oder Geschäft unter Lebenden umstritten gewesen. Testament sei überwiegend bei Schenkungen während der Ehe angenommen worden. Doch sei hier vom Notar ausdrücklich "donation entre vifs" beurkundet worden. Das französische Recht hätte diese ausdrückliche Wahl nicht verboten.
Die Eheleute seien bei Errichtung der Verträge von der Anwendbarkeit französischen Rechts ausgegangen. Für eine Rechtswahl für den Fall des Todes habe für sie gar kein Anlass bestanden.
Die Beteiligten zu 2. und 3. haben gemeint, der Erblasser habe keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet, weil er Rückkehrabsicht für den Fall des Todes der Beschwerdeführerin gehabt, nur wenig Deutsch gesprochen und im Inland nur wenige lose Bekannte gehabt habe und zudem Angehöriger des französischen Militärs gewesen sei. Die Erblasserin habe seinerzeit in ihre Heimat zurück gewollt, er habe sie nur begleitet. Er habe mit der Schenkung die Beteiligten zu 2 und 3 als Erbinnen zu je einem Drittel eingesetzt und damit zugleich die Anwendung französischen Rechts gewählt. Das Nachlassg...