Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Vermächtnisses betreffend ein Wohnungsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Vermächtnis in einem privatschriftlichen Testament, wonach der Vermächtnisnehmer eine zum Nachlass gehörende Wohnung bis an sein Lebensende mietfrei bewohnen können soll, kann dahin ausgelegt werden, dass ihm ein dingliches Wohnrecht - und nicht nur ein schuldrechtliches Nutzungsrecht (Leihe) - zugewendet worden ist.
2. Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass Testierende mit der letztwilligen Zuwendung eines lebenslangen Wohnrechts zugunsten einer ihnen nahestehenden Person nach aller Lebenserfahrung diese auf Dauer absichern und dauerhaft versorgt wissen wollen. Ein schuldrechtliches Nutzungsverhältnis auf Lebenszeit des Berechtigten ist aber in verschiedener Hinsicht, z.B. betreffend die Möglichkeit zur vorzeitigen Beendigung durch Kündigung, schwächer ausgebildet als ein dingliches Wohnungsrecht. Deswegen spricht die Lebenserfahrung in diesen Fällen dafür, einen Willen des Erblassers zur Zuwendung eines dinglichen Wohnungsrechts in Betracht zu ziehen.
Normenkette
BGB §§ 133, 598f, 1093, 2084
Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 10.01.2013) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des LG Kiel vom 10.1.2013 wird zurückgewiesen.
Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist von drei Monaten ab Verkündung dieser Entscheidung gewährt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 10.000 EUR die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe, jedenfalls aber i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Herausgabe der Dachgeschoss-Wohnung im Hinterhaus des Grundstücks ... geltend.
Der Kläger ist der Sohn der am 29.5.1997 verstorbenen Frau X, nachfolgend auch Erblasserin genannt.
Der Beklagte war mit der Erblasserin beruflich und persönlich verbunden. Sie hatten die streitgegenständliche Wohnung gemeinsam bewohnt. Die nach dem Vortrag des Klägers knapp 100 qm große Wohnung befindet sich auf dem ursprünglich der Erblasserin gehörenden Mehrfamilienhaus-Grundstück ...
Die vermögende Erblasserin errichtete am 15.7.1994 handschriftlich folgendes Testament unter dem genannten Datum und mit ihrer Unterschrift:
"Mein letzter Wille
Hiermit bestimme ich, dass Herr Y alle Wertgegenstände die seit 1988 gemeinsam angeschafft wurden, als alleiniger Erbe erhält. Die Wertgegenstände setzen sich wie folgt zusammen:
1.) Die Firma ... bestehend aus sechs Sonderfahrzeugen mit einer Zentrale
1.200.000
2.) Den Firmenwagen Mitsubishi Echip
25.000
3.) Ein Paar Brillantohrringe
18.000
4.) Ein Brillantring
30.000
5.) bis 11.) ...
Die gemeinsam bewohnte Wohnung mit allen dazu gehörenden Möbelteilen soll Y bis an sein Lebensende mietfrei bewohnen. Nur die Verbrauchskosten sind mit dem Erben des Hauses abzurechnen."
Auf das Testament vom 15.7.1994 (Bl. 8 d.A.) wird Bezug genommen.
Die 29.5.1997 verstorbene Erblasserin wurde aufgrund dieses Testaments von dem Kläger als Alleinerbe beerbt. Es war zwischen den Parteien ursprünglich streitig, wer als Erbe berufen war. Die genannte Erb-Feststellung ist Gegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits zwischen den Parteien.
Der Beklagte bewohnte die streitgegenständliche Wohnung nach dem Ableben der Erblasserin weiter. Alle Wohnungen in dem Haus wurden in Wohnungseigentum aufgeteilt. Der Kläger ist Wohnungseigentümer.
Im Jahr 2006 nahm der Kläger den Beklagten durch Klage auf Zahlung der auf die Wohnung entfallenden und von ihm abgerechneten Betriebskosten für die Jahre 2001 ff. in Anspruch genommen. Mit rechtskräftigem Urteil vom 9.11.2010 zum Aktenzeichen ... hat das LG Kiel den Beklagten verurteilt, aufgrund der für 2001 bis 2008 abgerechneten Betriebskosten einen Betrag von 8.163,12 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es ausgesprochen, dass der Beklagte aufgrund des Vermächtnisses vom 15.7.1994 verpflichtet ist, sämtliche ab 1.1.2009 für die streitgegenständliche Wohnung angefallenen und gemäß der Betriebskostenverordnung umlegbaren Betriebskosten an den Kläger zu zahlen. Auf das genannte Urteil wird verwiesen (Bl. 9 ff. d.A.).
Der Beklagte leistete nachfolgend weder Zahlungen auf die titulierte Forderung noch auf die für die folgenden Jahre abgerechneten Betriebskosten.
Der Kläger erklärte mit Anwaltsschreiben vom 13.9.2011 gegenüber dem Beklagten die Kündigung des Wohnrechtsverhältnisses mit sofortiger Wirkung und forderte von diesem die Räumung der Wohnung bis 27.9.2011. In dem betreffenden Schreiben bezifferte er seine Forderungen mit insgesamt 43.630,81 EUR zzgl. Zinsen ab 14.9.2011. Er gestand dem Beklagten für die vorzeitige Beendigung des Wohnrechts einen Zahlungs-Ausgleichsanspruch zu, den er auf der Grundlage eines Jahreswohnwerts von 5.600 EUR und einer Lebenserwartung von 16,49 Jahren auf 92.344 EUR...