Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzthaftung wegen Befunderhebungsfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Befunderhebungsfehler bei Unterlassung einer Röntgenaufnahme
2. Zum Zurechnungszusammenhang zwischen Befunderhebungsfehler und Schaden bei grobem Behandlungsfehler eines Drittbehandlers kurz nach dem Befunderhebungsfehler
Normenkette
BGB §§ 253, 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 30.08.2007; Aktenzeichen 4 O 68/06) |
Tenor
Das am 30.8.2007 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Itzehoe wird unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen geändert:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 30.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2005 zu zahlen.
II. Es wird festgestellt, das der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die diesem aufgrund der unterlassenen Befunderhebung durch den Beklagten am 14.10.2004 entstehen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
III. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Anwaltskosten seiner Prozessbevollmächtigten i.H.v. 1.756,24 EUR freizuhalten.
IV. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
V. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen der Kläger 3/7 und der Beklagte 4/7.
VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I. Der am 15.4.1987 geborene Kläger war wegen Beschwerden an der Halswirbelsäule bei dem Beklagten, der niedergelassener Orthopäde ist, bereits 1996 (Bl. 9 d.A.) in Behandlung, damals fertigte der Beklagte ein Röntgenbild. Am 31.8.2004 suchte der Kläger den Beklagten auf, weil er bereits länger andauernde Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäulen hatte. Der Beklagte behandelte die Beschwerden mit manueller Deblockierung. Auch bei den nachfolgenden Arztbesuchen am 23.9. und am 14.10.2004 behandelte der Beklagte den Kläger wegen der gleichen Symptome mit manueller Deblockierung, Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule fertigte er nicht (vgl. Dokumentation des Bekl. Bl. 8 f. d.A.).
Da seine Beschwerden andauerten, suchte der Kläger am 2.11.2004 und ferner am 5.1.2005 und am 21.2.2005 den (streitverkündeten) Orthopäden Dr. A in K. auf, der am 2.11.2004 zwei Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule - eine a. p.-Aufnahme und eine Schrägaufnahme - fertigte. Die Dokumentation des Streitverkündeten zum Besuch des Klägers am 2.11.2004 (Bl. 10 d.A.) führt auf, dass der Kläger seit 3 Monaten Schmerzen in der Halswirbelsäule habe und wegen Blockierung 4 × Manipulation der HWS vom Beklagten erhalten habe. Neurologische Störungen werden dort nicht dokumentiert, der Röntgenbefund wird mit COBB HWS links 8 Grad angegeben. Der Streitverkündete verordnete dem Kläger Krankengymnastik, dies auch bei einem weiteren Besuch am 5.1.2005. Der Kläger kam den Verordnungen nach (vgl. Berichte der Therapeuten Bl. 11, 12 d.A.).
Am 28.5.2005 erhielt der Kläger im Schwimmbad einen Schlag in den Nacken. Die dadurch hervorgerufenen Schmerzen waren so heftig, dass der Kläger sich am 30.5.2005 in die Klinik in H. begab. Dort wurde eine Röntgenuntersuchung vorgenommen und unverzüglich die Verlegung in die Radiologie in P. veranlasst. Durch Kernspintomographie wurde dort eine pathologische Fraktur des 4. Halswirbels auf dem Boden eines expansiv wachsenden Prozesses diagnostiziert und der Kläger in das Krankenhaus in H. eingewiesen. Dort wurde der Kläger unter dem anfänglichen Verdacht eines bösartigen Tumors an der Halswirbelsäule in drei Operationen, durchgeführt am 1.6., 14.6. und 17.6.2005, operiert. In einer ersten Operation wurde der 4. Halswirbelkörper ausgeräumt und in die Lücke ein Titan-Spacer eingesetzt. Nach der hiernach möglichen histologischen Diagnose einer aneurysmatischen Knochenzyste mit paravertebraler Tumorausdehnung und Ummauerung der Arteriae vertebrales wurde in der 2. Operation der Tumor aufgrund des hochgradigen Rezidiv-Risikos zunächst vom vorderen Zugang aus weitestmöglich entfernt und durch einen Knochenblock, nebst Titan-Platte, ersetzt. In der 3. Operation wurden die hinteren Anteile des 4. Halswirbels, d.h. der Wirbelbogen entfernt und die Versteifung vom hinteren Zugang aus durch ein Schrauben-Stab-System komplettiert. Der Tumor erwies sich als gutartig. Nach der 3. Operation erlitt der Kläger eine Lungenembolie. Es ist ein Tumorrezidiv vorhanden.
Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagte wäre spätestens nach dem 3. Besuch wegen bis dahin erfolgloser Behandlung verpflichtet gewesen, den Halswirbelsäulen-Bereich zu röntgen. Die zystischen Raumforderungen wären dann schon am 14.10.2004 sicherlich erkannt worden, der Tumor früher entdeckt worden, dann wäre dem Kläger jedenfalls die 3. Operation erspart geblieben. Der Tumor wäre wesentlich kleiner als bei...