Entscheidungsstichwort (Thema)
Anscheinsbeweis bei Tod auf Bahngleis
Leitsatz (amtlich)
Der Beweis des ersten Anscheins für grobe Fahrlässigkeit des bei einem auf Bahngleisen Getöteten gilt nur bei gesunden Menschen. Die Gesundheit muss derjenige beweisen, zu dessen Gunsten der Anschein gelten soll, also in der Regel das Bahnunternehmen.
Normenkette
HaftpflG §§ 1, 4
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 06.03.2007; Aktenzeichen 6 O 144/06) |
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Itzehoe vom 6.3.2007 geändert und - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger einen Betrag i.H.v. 5.280,44 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.2.2006 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger zu 1) den hälftigen Unterhaltsschaden (Haushaltsführungsschaden) zu ersetzen, der diesem durch den Tod seiner am 15.10.2005 gegen 10.12 Uhr auf den Gleisen der Bahnstrecke H.-E., Höhe E., verstorbenen Ehefrau A. (geboren am) entstanden ist und entstehen wird.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, den Klägern zu 2) und 3) jeweils den hälftigen Unterhaltsschaden zu ersetzen, der diesen durch den Tod ihrer am 15.10.2005 gegen 10.12 Uhr auf den Gleisen der Bahnstrecke H.-E., Höhe E., verstorbenen Mutter A. (geboren am) entstanden ist und entstehen wird.
4. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen:
- die Kläger ¾ der Gerichtskosten und der eigenen außergerichtlichen Kosten, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) sowie in voller Höhe die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) und der ehemaligen Beklagten zu 1) (Bahn AG);
- die Beklagte zu 1) die Hälfte ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten und ¼ der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Kläger.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. Die Kläger machen Ansprüche aus einem Bahnunfall geltend. Sie verlangen materiellen Schadensersatz sowie Feststellung dahingehend, dass die Beklagten als Gesamtschuldner ggü. den Klägern verpflichtet sind, sämtlichen Unterhaltsschaden zu ersetzen, der ihnen durch den Tod der am 15.10.2005 gegen 10.12 Uhr auf den Gleisen der Bahnstrecke H-E in Höhe E. verstorbenen Ehefrau und Mutter A. entstanden ist und entstehen wird. Die Klage ist zunächst gegen die Bahn AG erhoben, später gegen diese zurückgenommen und gegen die jetzige Beklagte zu 1) erhoben worden.
Die Ehefrau und Mutter der Kläger war am Abend des 14.10.2005 wegen psychischer Auffälligkeiten in das Klinikum E. verbracht worden. Sie hatte am Nachmittag den Kläger zu 1) von zu Hause aus angerufen, weil sie sich schlecht fühlte. Der Kläger zu 1) hatte sie dann angeschlagen, unruhig und körperlich erschöpft zu Hause vorgefunden. Sie hatte dem Kläger zu 1) von Wahrnehmungs- und Bewusstseinsstörungen berichtet, die wie ein Schub über sie gekommen seien. Sie habe Telefonate geführt, in deren Verlauf sie Dinge gesagt habe, die sie unter normalen Umständen niemals geäußert hätte. Bei der Beaufsichtigung ihres Sohnes und eines befreundeten Jungen am Nachmittag sei eines der Kinder auf die Straße gelaufen, ohne dass sie in der Lage gewesen sei einzuschreiten. Sie habe neben sich gestanden. Wegen der Schilderungen seiner Ehefrau rief der Kläger den ärztlichen Notdienst, der ihm empfahl, erst einmal abzuwarten. Aus Anlass eines zweiten Schubes gegen 22.00 Uhr wandte sich der Kläger an den Rettungsdienst. Dieser verwies den Kläger an den Hausarzt Dr. P., der die Verstorbene wegen des Verdachts auf eine Psychose in die Klinik E. einwies. Dort verblieb die Verstorbene bis zum nächsten Morgen. Nach dem Bericht des Krankenhauses E. vom 17.10.2005 (Bl. 16 d.A.) war die Verstorbene gegen 04.00 Uhr nachts erneut wegen Unruhe erwacht. Nach einer weiteren Medikation (1 mg Tavor Expidet) war sie wieder eingeschlafen. Am nächsten Morgen nahm die Verstorbene am Frühstück teil und half bei der Küchenarbeit. Gegen 10.00 Uhr morgens war sie auf der Station nicht mehr gesehen worden. Die Verstorbene hatte das Krankenhaus verlassen und war in Richtung der Gleisanlagen in der Nähe des Bahnhofes E. gelaufen. Gegen 10.10 Uhr war sie in Höhe der Fa. H. durch das die Gleisanlagen begrenzende Gebüsch geklettert und auf die Gleisanlagen gelaufen. Trotz zweimaligen Signalgebens durch den Triebwagenführer, den Beklagten zu 2), reagierte die Verstorbene nicht, sondern lief geradeaus auf die Gleise des herannahenden Zuges der Beklagten zu 1). Sie wurde von dem Zug erfasst und getötet. Wegen der Einzelheiten des Un...