Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Bahnbetriebsunternehmers; Pflicht zur Abgabe eines Warnsignals
Leitsatz (amtlich)
1. Die bloße Anwesenheit eines erwachsenen Fußgängers auf einem unmittelbar neben den Bahngleisen verlaufenden Trampelpfad verpflichtet den Lokomotivführer nicht zur Abgabe eines Warnsignals.
2. Die Gefährdungshaftung des Bahnbetriebsunternehmers nach § 1 Abs. 1 HPflG tritt hinter dem Verschulden eines Fußgängers, der – ohne auf die Bahn zu achten – verbotswidrig die Gleise betritt, vollständig zurück.
Normenkette
HPflG § 1 Abs. 1, § 4
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 2 O 9101/00) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 5.6.2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Entscheidung beschwert die Klägerin mit 55.225,00 DM.
Beschluss:
Der Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens wird auf 69.406,70 DM festgesetzt.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg.
Das LG Nürnberg-Fürth hat die Klage zu Recht mit der Begründung abgewiesen, das nach § 4 HPflG zu berücksichtigende Mitverschulden des Getöteten, der trotz eines Warnsignals die Bahngleise betreten habe, wiege so schwer, dass eine Haftung der Beklagten ausscheide. Die hiergegen von der Klägerin vorgebrachten Argumente überzeugen den Senat nicht davon, dass auf Seiten der Beklagten ein für den Unfall ursächlich gewordenes Fehlverhalten vorgelegen hat, das deren (Mit-) Haftung nach §§ 1 Abs. 1, 4 HPflG bzw. § 823 Abs. 1 BGB rechtfertigen könnte.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. a) Die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten zu 1) für den streitgegenständlichen Schaden nach § 1 Abs. 1 HPflG sind grundsätzlich gegeben. Ein Haftungsausschluss nach § 1 Abs. 2 S. 1 HPflG kommt nicht in Betracht, da ein Fall höherer Gewalt nicht vorliegt. Ein solcher würde im streitgegenständlichen Zusammenhang voraussetzen, dass durch die Handlung eines Dritten auf den Betrieb der Bahn in so außergewöhnlicher Weise eingewirkt worden wäre, dass das Unternehmen mit dem Schadenseintritt nicht zu rechnen brauchte (Greger, Zivilrechtliche Haftung im Straßenverkehr, 3. Aufl., § 1 HPflG Rz. 36 m.w.N.). Es fehlt hier schon an der Außergewöhnlichkeit der Einwirkung. Zusammenstöße zwischen Fußgängern und Schienenbahnen treten leider an Übergängen wie dem hier zu beurteilenden immer wieder auf (OLG Köln v. 9.5.1996 – 7 U 10/96, OLGReport Köln 1997, 188 = NZV 1997, 477 [478]; OLG Naumburg VersR 1999, 628 [629]).
b) Die Mitwirkung eines ganz erheblichen Verschuldens des Getöteten bei der Entstehung des Schadens steht fest.
Dieser hat alle Bedenken missachtet, die sich einem normalen Erwachsenen zwangsläufig aufdrängen müssen, wenn er die Bahngleise an einer Stelle überqueren will, die hierfür nicht nur nicht vorgesehen ist, sondern an der das Betreten der Gleise durch ein gut lesbares Schild ausdrücklich verboten ist. Er hat daher äußerst leichtfertig gehandelt, zumal er auch das durch den Lokomotivführer (=Beklagter zu 2) abgegebene Warnsignal ignoriert hat.
Er hat somit den Unfall durch seinen bewussten Verstoß gegen § 25 Abs. 5 StVO und § 62 Abs. 2 EBO schuldhaft herbeigeführt.
2. Eine Haftung des Beklagten zu 2) kommt dagegen schon dem Grunde nach nicht in Betracht, da gegen ihn ausschließlich verschuldensabhängige Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetzen denkbar sind – eine dem § 18 StVG entsprechende Norm enthält das HPflG nicht – und ihn ein Verschulden an dem Unfall nicht trifft.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte zu 2) nämlich nicht verpflichtet, sofort ein Warnsignal abzugeben, als er des später Getöteten erstmals ansichtig wurde. Die bloße Anwesenheit eines erwachsenen Fußgängers auf einem neben dem Gleis verlaufenden Trampelpfad reicht hierfür nicht aus. Denn niemand kann damit rechnen, dass dieser so unvorsichtig sein wird, ohne sich sorgfältig umzusehen, die Gleise zu betreten. Auch wenn der Getötete mit dem Rücken zum Beklagten zu 2) auf dem besagten Trampelpfad unterwegs war, gilt nichts anderes. Der Lokomotivführer durfte darauf vertrauen, dass sich der Getötete umdrehen würde, bevor er die Gleisanlage betritt. Dies gilt auch dann, wenn der benutzte Weg nur 0,50 m bis 1 m vom Gleis entfernt ist.
Eine Rechtspflicht des Lokomotivführers, ein Warnsignal zu betätigen, kann erst dann angenommen werden, wenn der Fußgänger erkennbar unaufmerksam ist, etwa weil er in ein Gespräch vertieft ist, oder wenn er wegen eines schwankenden Ganges erkennbar nicht mehr in der Lage ist, den üblichen Sorgfaltsanforderungen zu genügen, oder wenn es sich bei den Fußgängern um Kinder handelt. Solche Besonderheiten waren vor dem streitgegenständlichen Unfall aber unstreitig nicht gegeben.
b) Ein ...