Entscheidungsstichwort (Thema)

Bejahung der Zuständigkeit auf der Grundlage einer Mindermeinung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein erstinstanzliches Gericht nimmt seine Zuständigkeit dann nicht willkürlich an, wenn es bei der in Rechtsprechung und Literatur streitigen Auslegung der Norm, auf die es seine Zuständigkeit stützt, der umfassend und jedenfalls vertretbar begründeten Auffassung in einer jüngeren Entscheidung eines OLG folgt, selbst wenn sich der BGH zwischenzeitlich der Gegenmeinung angeschlossen hat.

 

Normenkette

ZPO §§ 32b, 321a, 513 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Lübeck (Urteil vom 08.11.2007; Aktenzeichen 16 O 70/07)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 8.11.2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 16. Zivilkammer des LG Lübeck wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten im Zusammenhang mit der Zeichnung einer atypisch stillen Beteiligung an der B AG - mit einer Einlage i.H.v. 12.000 DM zzgl. eines 5%igen Agios durch Vertrag vom 25.6.2001 - auf Schadensersatz in Höhe der geleisteten Zahlungen abzgl. erhaltener Entnahmen in Anspruch.

Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien erster Instanz und ihrer dortigen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Beklagten haben einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt, über den nicht entschieden worden ist. Darin merken sie an - was unstreitig ist -, dass abweichend von dem letzten Satz auf S. 2 unten des Urteils nicht der Beklagte zu 2. sondern der Beklagte zu 1. (und zwar seit dem 1.12.2000) Vorstandsvorsitzender der B AG bis zu deren Insolvenz war. Demgegenüber handelt es sich - abweichend von S. 3 oben des Urteils - bei dem Beklagten zu 2. um den Initiator der B AG, der selbst bis zum 30.11.2000 die Position des alleinigen Vorstands der B AG inne hatte.

Das LG hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, es sei örtlich zuständig weil - im Anschluss einer Rechtsprechung des OLG München vom 27.7.2006, 31 AR 70/06 - die Vorschrift des § 32b ZPO über die ausschließliche Zuständigkeit hier nicht anwendbar sei. Im Übrigen sei die Klage aus den §§ 823 Abs. 2, 830 BGB i.V.m. § 264a StGB zulässig, weil der Präsentationsprospekt der B AG irreführende Angaben enthalte und die Verwendung dieses Prospektes "..." den Tatbestand des § 264a StGB erfülle. Das LG verweist insoweit auf das in Kopie in der Akte enthaltene Urteil des Senats vom 25.10.2007 - 5 U 52/07.

Die Beklagten haben einen Tag nach Verkündung des Urteils (im Termin vom 8.11.2007) mit Fax vom 9.11.2007 den zuständigen Einzelrichter des LG wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er habe nämlich die örtliche Zuständigkeit des LG Lübeck willkürlich angenommen und dadurch das Grundrecht der Beklagten auf den gesetzlichen Richter verletzt. Nach Zurückweisung dieses Befangenheitsgesuches mit Beschluss der 16. Zivilkammer des LG Lübeck vom 21.11.2007 ist die sofortige Beschwerde der Beklagten durch Beschluss des 16. Zivilsenats des OLG Schleswig vom 18.2.2008 verworfen worden. Zur Begründung führt der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des 12. Zivilsenats des BGH (NJW-RR 2007, 411) aus, dass das Rechtsschutzinteresse für ein Beschwerdeverfahren in einer Ablehnungssache entfalle, wenn die Instanz unter Mitwirkung des abgelehnten Richters durch Urteil vollständig abgeschlossen und ein Berufungsverfahren möglich sei. Aus Gründen der Prozessökonomie sei in dem Berufungsverfahren selbst zu prüfen, ob ein Ablehnungsgrund vorliege. Wenn ein solches Ablehnungsgesuch begründet sei, müsse ein dennoch ergangenes Urteil im Hinblick auf den verfassungsrechtlich begründeten Anspruch der Prozessparteien auf ein neutrales, unbefangenes Gericht aufgehoben oder abgeändert werden.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung machen die Beklagten geltend:

Das LG habe seine örtliche Zuständigkeit willkürlich bejaht, weshalb es bei verfassungsgemäßer Auslegung des § 513 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren zulässig und geboten sei, diesen einen Verfassungsverstoß darstellenden Verfahrensmangel durch Verweisung des Rechtsstreits an das örtlich zuständige Gericht Stuttgart, den faktischen Sitz der B AG (vgl. dazu Bl. 117 d.A., am AG Stuttgart wird das Insolvenzverfahren geführt), zu beheben, hilfsweise das Urteil und das Verfahren des LG aufzuheben und die Sache an das LG Lübeck zurückzuverweisen, damit dieses über die Frage der Zuständigkeit erneut entscheiden könne. Die Beklagten hätten nämlich bereits erstinstanzlich die örtliche Zuständigkeit des LG Lübeck gerügt. Abweichend von der vom LG zitierten Entscheidung des OLG München vom 27.7.2006, ZIP 2006, 1699, habe der BGH mit zwei Beschlüssen vom 30.1.2007 und 7.2.2007 entschieden, dass der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b I Satz 1 Nr. 1 ZPO auch auf öffentliche Kapitalmarktinformationen anzuwenden sei, die den sog. grauen Kapitalmarkt betreffen würden. Es sei mithin gleichgültig, ob in solchen Fällen ei...

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