Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichttragen eines Fahrradhelms als Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr begründet im Falle eines Unfalls mit sturzbedingten - typischen - Kopfverletzungen Mitverschulden
Normenkette
StVG § 9; BGB § 254
Nachgehend
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 80 % des materiellen und immateriellen Schadens zu ersetzen, der der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 7.4.2011 in G. entstanden ist und noch entsteht soweit er nicht bereits auf Dritte übergegangen ist bzw. übergehen wird.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten 80 % und die Klägerin 20 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Der Berufungsstreitwert wird auf 6.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin begehrt Feststellung der Schadensersatzverpflichtung aus einem Verkehrsunfall, der sich am 7.4.2011 in der C.-Straße in G. ereignete.
Am Unfalltage befuhr die Klägerin gegen 15:45 Uhr mit ihrem Fahrrad die C.-Straße in G. in Richtung Zentrum auf dem Weg zu ihrer dort befindlichen physiotherapeutischen Praxis. Die Klägerin trug keinen Fahrradhelm. Am rechten Fahrbahnrand parkte die Beklagte zu 1) mit ihrem Pkw BMW, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Die Beklagte zu 1) öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Klägerin die Fahrertür ihres Pkw, so dass die Klägerin nicht mehr ausweichen konnte und gegen die Fahrertür fuhr. Die Klägerin stürzte zu Boden, fiel auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zu, nämlich einen zweifachen Schädeldachbruch am Stirnbein und hohen Scheitelbein linksseitig und Blutungen sowie Hirnquetschungen rechtsseitig.
Sie befand sich bis zum 16.6.2011 in stationärer Krankenhausbehandlung - zunächst in Flensburg und ab dem 18.4.2011 in Hamburg/Boberg.
Zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils dauerte die Behandlung der Klägerin in ambulanter Weise fort. Ab dem 8.8.2011 hatte die Klägerin mit einem täglichen Arbeitseinsatz von 4 Stunden ihre Tätigkeit als Physiotherapeutin im Rahmen einer Belastungsprobe, vergleichbar dem Hamburger Modell, wieder aufgenommen.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte zu 1) den Unfall allein verursacht hat. Streitig ist allein die Frage, ob die Klägerin ein Mitverschulden trifft, weil sie beim Fahrradfahren keinen Helm getragen hatte.
Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Verkehrsunfall vom 7.4.2011 in G. entstanden ist und noch entsteht und soweit er nicht bereits auf Dritte übergegangen ist bzw. übergehen wird.
Die Beklagten haben beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie sind der Auffassung, dass die Klägerin an der Entstehung der Kopfverletzung ein Mitverschulden von 50 % treffe, weil sie keinen Schutzhelm getragen habe. Ihre hälftige Eintrittspflicht hat die Beklagte außergerichtlich anerkannt.
Das LG hat der Klage ohne Beweisaufnahme vollumfänglich stattgegeben mit der Begründung, die Klägerin treffe kein Mitverschulden, da es eine allgemeine Helmpflicht nicht gäbe und sie ihr Fahrrad (im Gegensatz zu Rennradfahrern) als gewöhnliches Fortbewegungsmittel genutzt habe.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie machen geltend, dass die Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Schädel-Hirntrauma erlitten hätte, wenn sie einen geeigneten Fahrradhelm getragen hätte.
Es entspreche dem Alltagswissen, dass das Risiko von Kopfverletzungen beim Fahrradfahren durch das Tragen eines Helms vermindert werden könne. Gerade der "normale" Radfahrer im alltäglichen Straßenverkehr sei den größten Risiken eines Unfalls ausgesetzt, so dass gerade er gehalten sei, einen Fahrradhelm zu tragen. Ein Mitverschulden setze nicht voraus, dass eine gesetzliche Helmpflicht bestehe, vielmehr käme es darauf an, dass die Klägerin durch das Unterlassen des Tragens eines Helmes beim Radfahren im öffentlichen Straßenverkehr dem Gebot, die eigenen Interessen zu wahren und dabei Sorgfalt walten zu lassen, in vorwerfbarer Weise zuwider gehandelt habe.
Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat zu der Frage, ob die von der Klägerin als Radfahrerin bei dem Unfall vom 7.4.2011 erlittenen Kopfverletzungen auch dann ebenso schwer gewesen wären, wenn die Klägerin einen Helm getragen hätte, Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens des Leitenden Arztes für Neurologie Dr. A. G (...).
II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet.
1.) Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist nach wie vor zulässig, da ihr Feststellungsinteresse zumindest bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LG im Dezember 2011 vorgelegen hat. Zu jenem Zeitpunkt war es der Klägerin noch nicht möglich, eine bezifferte Leistungsklage zu er...