Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung bei Transporten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Transportversicherungsbestimmungen der Ziffer 8.1.2. VBF 08, wonach der Versicherungsnehmer das Fahrpersonal sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen hat, und Ziffer 9 VBF 08, wonach der Versicherer leistungsfrei wird, wenn der Versicherungsnehmer u.a. diese Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt, sind wirksam.
2. Ein Transportunternehmer handelt grob fahrlässig, wenn er einen Aushilfsfahrer mit bekannten Geldproblemen, der ihm berichtet, dass er von zwielichtigen Personen zu einem vorgetäuschten Raubüberfall gedrängt werde und diese Personen ihn bedrohten, falls er von diesem Vorschlag erzähle, bei dem bekanntermaßen mit erheblichen Diebstahlsrisiken behafteten Transport von Zigaretten einsetzt, ohne zu klären, ob sich das Gefahrenszenario erledigt hat.
Normenkette
HGB §§ 425, 435; VVG § 86 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin wird das Urteil des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen III des Landgerichts Lübeck vom 13. Oktober 2022 teilweise abgeändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt aus übergegangenem Recht Schadensersatz für den Verlust einer Tour Zigaretten.
Die Klägerin führt als Assekuradeurin die Schadensregulierung für die Transportversicherer der Firma X durch. Für diese besorgte die Firma Y e.K. u.a. Zigarettentransporte.
Im September oder Oktober 2018 teilte der früher einmal festangestellte, zu der Zeit aushilfsweise beschäftigte Fahrer Z Herrn Y mit, dass er von zwei Bekannten, B (einem ehemaligen Mitarbeiter des Unternehmens) und E, dazu gedrängt worden sei, sich an einem vorgetäuschten Raubüberfall auf einen der Zigarettentransporte zu beteiligen, was er aber abgelehnt habe. Daraufhin setzte Herr Y ihn für einige Wochen nicht mehr für X-Touren ein, änderte das aber - unterdes war Z wieder festangestellt - zu Ende November 2018. Davon erfuhren B und E und veranlassten Z dazu, ihnen am 29. Dezember 2018 eine Ladung Zigaretten zu überlassen. Z gab bei der Polizei zunächst die verabredete Raubgeschichte zu Protokoll, legte indes, nachdem Herr Y diese im Abgleich mit GPS-Daten ungereimt vorgekommen war und er darob die Polizei aufgesucht hatte, rasch ein Geständnis ab.
Die Versicherer der X glichen dieser den Transportschaden von 54.149,20 EUR aus. Nach der Insolvenz der Y machte die Klägerin mit Zustimmung des Insolvenzverwalters Regressansprüche gegen die Beklagte geltend, bei der die Y seinerzeit eine Frachtführerhaftpflichtversicherung unterhielt, deren einbezogene Ziffern 8.1.2. und 9 VBF 08 die Obliegenheit enthielten, das Fahrpersonal sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen, und im Fall einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung die Leistungsfreiheit bestimmten. Die Beklagte lehnte Leistungen ab.
Mit ihrer im November 2021 eingereichten Klage hat die Klägerin die Zahlung von 54.149,20 EUR nebst Zinsen seit dem 12. März 2021 und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 2.147,83 EUR verlangt. Sie hat gemeint, ihr stehe wegen des von der Y zu vertretenden Haftungsfalls ein Direktanspruch gegen die Beklagte zu. Herrn Y sei ein Verstoß gegen die - ohnehin nicht einbezogene - Ziffer 8.1.2. VBF 08 nicht anzulasten, schon gar kein besonders krasser (Bl. 41); weiter hielte die Klausel einer AGB-Kontrolle nicht stand, da sie zu unbestimmt sei (Bl. 42), und komme eine Abbedingung auch nicht im Hinblick auf die Großrisiko-Bestimmung des § 210 Abs. 2 Nr. 1 VVG (i.V.m. Nr. 10b der Anlage Teil A VAG: Haftpflicht aus Landtransporten) in Betracht, da die von der Beklagten gebotene Versicherung keine reine Pflichthaftpflichtversicherung, sondern eine gemischte Police darstelle (Bl. 126f.).
Die Beklagte hat sich dem entgegengestellt. Herr Y habe krass gegen die Pflicht zur Auswahl und Überwachung des Fahrpersonals verstoßen, indem er den Z weiterhin mit dem Transport der diebstahlgefährdeten Tabakwaren betraut habe, obwohl er positiv gewusst habe, dass dieser unter dem Druck gestanden habe, einen Raubüberfall vorzutäuschen; das könne sie nach § 117 Abs. 3 Satz 2 VVG der X entgegenhalten, die Ersatz ihres Schadens von einem anderen Schadensversicherer - ihren Transportversicherern - habe erlangen können (Bl. 24f.).
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 27.074,60 EUR nebst Zinsen seit dem 12. März 2021 und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 1.501,19 EUR zu zahlen, und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Y, die sich den Vorsatz ihres an der Tat beteiligten Mitarbeiters z...