Entscheidungsstichwort (Thema)
Europäischer Haftbefehl. Ausschreibung
Leitsatz (amtlich)
1. Das nationale Strafverfahrensrecht enthält in § 131 StPO in Verbindung mit den §§ 112 ff. StPO eine hinreichende Rechtsgrundlage für die gerichtliche Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls.
2. Bei der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls sind nicht nur dessen formelle Voraussetzungen im Sinnen des RB EuHB zu prüfen. Die durch den Europäischen Haftbefehl ermöglichte europaweite Ausschreibung muss auch verhältnismäßig sein. Weiter müssen die Voraussetzungen des zugrunde liegenden nationalen Haftbefehls noch vorliegen.
3. Gegen die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls ist auch die weitere Beschwerde statthaft.
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
Rechtsgrundlage für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls im Strafverfahrensrecht
Normenkette
IRG §§ 74, 77; StPO § § 112 ff., §§ 131, 310; RB-EuHb
Tenor
Die weitere Beschwerde wird auf Kosten des Beschuldigten als unbegründet verworfen.
Gründe
Die nach § 310 Abs. Abs. 1 Nr. 1 StPO statthafte und zulässig ausgeführte weitere Beschwerde des Beschuldigten hat in der Sache keinen Erfolg. Mit seiner weiteren Beschwerde wendet sich der Beschuldigte inhaltlich gegen die formelle Rechtswidrigkeit des vom Amtsgericht Kiel am 11. November 2019 ausgestellten Europäischen Haftbefehls.
I.
Die weitere Beschwerde ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nach § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässig, da durch die angefochtene Entscheidung die Beschwerde gegen den Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Kiel vom 11. November 2019 - 43 Gs 4958/19 - als unbegründet verworfen wurde und es sich bei einem Europäischen Haftbefehl nach Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates vom 13. Juni 2002 (2002/584/JI) in der Fassung des Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates vom 26. Februar 2009 (2009/299/JI) - RB EUHb - um eine justizielle Entscheidung handelt, welche die Festnahme einer gesuchten Person im Ausland bezweckt. Auch wenn es sich bei dem Europäischen Haftbefehl in erster Linie um ein Fahndungsinstrument zur Umsetzung eines nationalen Haftbefehls handelt, bildet er - zusammen mit dem nationalen Haftbefehl - doch die Grundlage für eine Verhaftung und kann zur Festnahme und Übergabe der gesuchten Person im europäischen Ausland führen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 27. Mai 2019 (C-508/18 und C-82/19 PPU, Rn. 70, 75) zudem festgestellt, dass der Erlass des Europäischen Haftbefehls zum Zwecke der Strafverfolgung "auf einem gerichtlicher Kontrolle unterworfenen nationalen Verfahren" beruhen müsse und "die Ausstellung eines solchen Haftbefehls und insbesondere ihre Verhältnismäßigkeit in einer Weise gerichtlich überprüfbar sein" müsse, "die den Erfordernissen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes voll und ganz genügt." Der Senat sieht vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, den Erlass des Europäischen Haftbefehls nicht als Anwendungsfall einer "Verhaftung" im Sinne von § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO, also eines Ergreifens des Gesuchten aufgrund eines Haftbefehls, zu behandeln.
II.
Die damit zulässige weitere Beschwerde ist in der Sache jedoch unbegründet.
Die Entscheidung des Landgerichts, die Beschwerde gegen den Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Kiel als unbegründet zu verwerfen, ist nicht zu beanstanden. Insoweit wird ergänzend auch auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung und des Nichtabhilfebeschlusses vom 17. Januar 2020 verwiesen. Die Verteidigung rügt zu Unrecht, der Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Kiel vom 11. November 2019 sei ohne rechtliche Grundlage ausgestellt worden.
Eine rechtliche Grundlage für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls ist im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) nicht enthalten. Auch § 74 IRG enthält keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für den Erlass eines solchen. Dort geregelt ist lediglich die grundsätzliche Zuständigkeit der Exekutive für Rechtshilfeersuchen in Strafsachen. Hiervon umfasst ist nicht die Frage, unter welchen zusätzlichen prozessualen Voraussetzungen gegen einen bestimmten Beschuldigten im konkreten Fall bestimmte grenzüberschreitende Maßnahmen wie Durchsuchungen, Beschlagnahmen, Vernehmungen o.a. zu ergreifen sind, bzw. ergriffen werden dürfen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 1. August 2019 - 2 Ws 96/19, Rn. 18 - beck-online). Diese Fragen sind daher nach allgemeinem inländischen Verfahrensrecht zu beurteilen (OLG Hamm a.a.O.). Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an. Daher sind grundsätzlich nach § 77 Abs. 1 IRG insoweit die Vorschriften der Strafprozessordnung heranzuziehen.
Die gesetzliche Grundlage für den vom Amtsgericht Kiel ausgestellten Europäischen Haftbefehl vom 11. November 2019 findet sich daher in § 131 StPO mit §§ 112, 112a, 113 StPO. Inhaltlich handelt es sich bei dem Europäischen Haftbefehl nämlich um ein Ersuchen des Amtsgerichts Kiel an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, den Beschuldigten aufgrund...