Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwendung von "Baugeld" für öffentlich-rechtliche Forderungen. Irrtum des Bauherrn
Leitsatz (amtlich)
1. "Baugeld" i.S.d. § 1 BauFordSiG darf auch zur Erfüllung von Geldforderungen öffentlich-rechtlicher Gläubiger verwendet werden, denen Leistungen zugrunde liegen, die unmittelbar der "Herstellung des Baus" dienen. Dabei ist unerheblich, ob die öffentlich-rechtlichen Leistungen auf dem Baugrundstück selbst erbracht worden sind.
2. Öffentlich-rechtliche Verwaltungsgebühren können analog § 1 Abs. 1 BauFordSiG unter Verwendung von "Baugeld" erfüllt werden, es sei denn, ihnen fehlt ein direkter Baubezug.
3. Baugenehmigungsgebühren sind ansatzfähige Kosten der Herstellung des Baus. Ohne eine Baugenehmigung kann eine Herstellung des Baus von vornherein nicht erfolgen; die Kosten sind erforderlich, um eine rechtmäßige Bauausführung zu ermöglichen.
4. Auszahlungen des Baugeldes sind auch bei einem zum Vorsteuerabzug berechtigten Bauherr einschließlich der Umsatzsteuer dem "Baugeldkonto" anzulasten.
5. Kosten der "Herstellung des Baus" müssen sich nicht notwendig "gegenständlich" in einem einzelnen Bauteil niederschlagen; sie können auch die Planung, Vermessung, Prüfstatik und Bauleitung sowie den Um- oder Ausbaus schon errichteter Gebäude bzw. von Gebäuden, an die Anschlüsse herzustellen sind, umfassen.
6. Eine (haftungsbegründende, auch bedingt) vorsätzliche Verletzung der Pflicht zur Verwendung von Baugeld für die Herstellung des Baus scheidet aus, wenn sich der Bauherr über die Zuordnung bestimmter Forderungen zu den Baukosten geirrt hat. Dies gilt gleichermaßen unter dem Aspekt eines Verbots- wie eines Tatbestandsirrtums.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 840; BauFordSiG §§ 1, 3; StGB § 17 Abs. 1; InsO § 178 Abs. 3; LBO SH § 78 Abs. 6; VerwKostG SH § 1 Abs. 1; BauGebVO SH § 1
Verfahrensgang
LG Lübeck (Urteil vom 16.10.2006; Aktenzeichen 17 O 288/04) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 16.10.2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 17. Zivilkammer des LG Lübeck wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat für die "G GmbH" (M)- im Folgenden G- Kunststoffbeschichtungsarbeiten ausgeführt. Geschäftsführer der G waren die Beklagten, die zur Finanzierung des Bauvorhabens Kredite i.H.v. 4,9 Mio. DM aufnahmen. Davon waren 4,7 Mio. DM durch eine Grundschuld auf dem Baugrundstück gesichert.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der G meldete die Klägerin eine Restwerklohnforderung i.H.v. 37.951,70 EUR zur Insolvenztabelle an. Die Forderung wurde festgestellt.
Die Klägerin nimmt die Beklagten nunmehr persönlich mit der Behauptung in Anspruch, dass die Beklagten die bei der Hamburger Sparkasse aufgenommenen Baugelder i.H.v. insgesamt 5,5 Mio. DM zweckwidrig verwendet hätten.
Die Beklagten haben geltend gemacht: Das Baugeld habe sich nur auf 4,1 Mio. DM belaufen und sei zweckgerecht verwendet worden.
Das LG hat die auf Zahlung von 43.318,97 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage durch das am 16.10.2006 verkündete Urteil abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 des Gesetzes über die Sicherung von Bauforderungen in der Fassung vom 5.10.1994 (BGBl. I, 2911) (im Folgenden: GSB) bestehe nicht, da das Baugeld nicht vorsätzlich zweckwidrig verwendet worden sei. Durch das vorgelegte Baubuch nebst Einzelnachweisen sei die zweckgerechte Verwendung eines Betrages von 2.275.539,95 EUR belegt worden, so dass von der Gesamtbaugeldsumme von 4,6 Mio. DM (= 2.351.942,65 EUR) lediglich die zweckgerechte Verwendung eines Teilbetrages von 76.402,70 EUR nicht festzustellen sei. Eine Haftung der Beklagten scheitere insoweit an deren fehlendem Vorsatz. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagten die Vorstellung gehabt hätten, den Gesamtbetrag des Baugeldes i.H.v. 4,6 Mio. DM bereits ausgekehrt zu haben. Der offene Betrag sei mit nur 3 % ein relativ kleiner Anteil des Baugeldes. Ein Betrug scheide mangels Täuschungshandlung aus.
Gegen das am 20.10.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.11.2006 Berufung eingelegt und im Wesentlichen geltend gemacht: Mit dem Baubuch, einem "Eigenbeleg", sei der den Beklagten obliegende Beweis einer zweckentsprechenden Verwendung des Baugeldes nicht geführt worden. Hinsichtlich einzelner Zahlungen im Baubuch sei die tatsächliche Erbringung des angegebenen Betrages nicht nachgewiesen. Zahlungen für die Gebäudeeinmessung, die Prüfstatik, das Architektenhonorar, die Gestaltung des Treppenhauses und für Baugenehmigungsgebühren seien nicht den Baukosten...