Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen Pflegemehrbedarfs nach ärztlichem Behandlungsfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Gutachten zur Einstufung in die Pflegeversicherung (Pflegegutachten) stellen ohne ergänzenden Vortrag keine hinreichende Darlegung eines Pflegemehrbedarfs in der Vergangenheit dar, sondern haben allenfalls Indizwirkung.
2. Die verringerte Darlegungslast des Patienten im Arzthaftungsprozess erstreckt sich nicht auf den Umfang eines in der Vergangenheit geleisteten Pflegemehrbedarfs.
3. Begleitende häusliche Übungen zur Unterstützung regelmäßiger Krankengymnastik-Therapie (z.B. Bobath/Vojta) sind Ausdruck elterlicher Zuwendung und nicht kommerzialisierbar.
Normenkette
BGB §§ 249, 823
Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 09.06.2006; Aktenzeichen 8 O 4/05) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 9.6.2006 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Kiel wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I. Die Klägerin macht Pflege- und Behandlungsmehrbedarf wegen einer seit ihrer Geburt am 9.2.1982 bestehenden Schwerbehinderung gegen den beklagten Kreis als Träger des Kreiskrankenhauses in P. für den Zeitraum bis einschließlich Dezember 2004 geltend. Der beklagte Kreis ist durch rechtskräftiges Urteil des Senats vom 25.3.1998 (Aktenzeichen: 4 U 75/93) wegen eines groben Behandlungsfehlers der behandelnden Ärzte des Krankenhauses im Zusammenhang mit ihrer Geburt zu Schadensersatz verurteilt worden.
Bei der Klägerin zeigte sich ab Vollendung ihres ersten Lebensjahres eine psycho-neurologische Entwicklungsstörung vorwiegend motorischer, aber auch psychointellektueller Art, die insbesondere in den ersten Lebensjahren zu Krankenhausaufenthalten im Kinderzentrum P. führten. Sie besuchte ab 1985 den Regelkindergarten und wurde im August 1989 in eine Lernbehindertenklasse der Körperbehindertenschule in R. eingeschult, die sie bis Sommer 2000 besuchte. Von August 2000 bis Juni 2004 lebte die Klägerin in einem Internat in H., in dem sie zunächst ein Berufsvorbereitungsjahr und anschließend eine Ausbildung zur Bürokraft beim Berufsbildungswerk absolvierte. Seit Sommer 2004 wohnt die Klägerin allein in einer Wohnung in P., sie ist arbeitslos.
Die Klägerin erhielt vor Einführung der Pflegeversicherung Pflegegeld, vom 1.5.1995 bis 30.8.1998 war die Klägerin in die Pflegestufe II (Pflegemehrbedarf täglich 3 Stunden) der Pflegeversicherung eingestuft, seit 1.9.1998 erfolgt die Einstufung nach der Pflegestufe I (Pflegemehrbedarf täglich 1,5 Stunden). Der Versicherer des beklagten Kreises hat auf die Schadensersatzansprüche der Klägerin bisher 35.790,44 EUR gezahlt, von der Pflegeversicherung hat die Klägerin mindestens 32.331,05 EUR erhalten.
Auf der Grundlage der vorliegenden Gutachten für die Pflegeversicherung vom 4.9.1995, 1.9.1998 und 2.11.1999 (Bl. 110a-123a d.A.) macht die Klägerin auf der Basis eines Stundenlohnes von netto 10 EUR einen Grundpflegemehrbedarf i.H.v. insgesamt 228.555 EUR sowie Behandlungspflegebedarf von 203.487,50 EUR geltend, auf den sie sich die Leistungen der Pflegeversicherung sowie die bisher erbrachten Zahlungen des Versicherers des Beklagten anrechnen lässt, so dass nach ihrer Berechnung 363.921,01 EUR verbleiben.
Das LG hat nach Anhörung der Klägerin die Klage abgewiesen, da die bereits geleisteten Zahlungen den Anspruch der Klägerin überstiegen. Es hat ausgeführt, soweit die Klägerin Behandlungsbedarf geltend mache, der sich im Wesentlichen auf häusliche tägliche Übungen der Mutter mit ihr stütze, sei dieser nicht erstattungsfähig. Das LG hat lediglich den mit den auswärtigen Therapien (Krankengymnastik, therapeutisches Reiten, Ergotherapie, Logopädie, Heileurythmie, Kinesiologie) verbundenen Zeitaufwand als ersatzfähig angesehen. Hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Grundpflegemehrbedarfs hat es einen Anspruch der Klägerin mangels hinreichender Substantiierung für den Zeitraum vor 1992 abgewiesen und für den Zeitraum ab 1.9. 1992 lediglich teilweise - bei einem Stundenlohn von 7 EUR netto - als begründet angesehen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und führt im Wesentlichen aus, zur hinreichenden Substantiierung ihres Anspruchs habe ausgereicht, dass sie die für die Pflegeversicherung eingeholten Pflegegutachten eingereicht habe, auch habe sie hinreichend substantiiert in ihren Schriftsätzen vorgetragen. Im Übrigen seien im Arzthaftungsprozess die Anforderungen an den Vortrag des Klägers gering, es sei Sache des Gerichts, den Sachverhalt zu ermitteln Das LG hätte zur Feststellung des in der Vergangenheit erforderlich gewesenen Pflegemehraufwandes ein Sachverständigengutachten einholen müssen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu veru...