Entscheidungsstichwort (Thema)

Hemmung der Verjährung durch Anmeldung einer bereits verjährten Forderung zu einer in unverjährter Zeit erhobenen Musterfeststellungsklage

 

Normenkette

BGB §§ 31, 204 Abs. 1 Nr. 1a, § 826

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 15.10.2020 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.332,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2019 Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Audi A4, Fahrzeugidentifikationsnummer XXX zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu 75 %, die Klägerin zu 25 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils gegen sie zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages leistet.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 8.396,31 EUR festgesetzt.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal.

Die Klägerin kaufte am 12.12.2013 einen gebrauchten Audi A4, Laufleistung 91.958 km, Kaufpreis 15.880,00 EUR. Das Fahrzeug war mit dem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor des Typs EA 189 ausgestattet. Am 28.06.2021 betrug die Laufleistung des Fahrzeugs 217.040 km.

Die Beklagte beruft sich auf Verjährung.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Ansprüche der Klägerin verjährt seien. Die 3-jährige Verjährungsfrist habe im Jahr 2015 begonnen. Die Voraussetzung für eine zumutbare Klageerhebung hätten Ende des Jahres 2015 vorgelegen. Die Öffentlichkeit sei durch eine Pressemitteilung der Beklagten und die nachfolgende umfassende Berichterstattung in den Medien ab Ende September bis Mitte Oktober darüber informiert worden, dass der Motor mit einer Abschalteinrichtung versehen war. Deshalb sei eine Erhebung einer Klage zumindest als Feststellungsklage bereits ab November 2015 zumutbar gewesen. Die Klägerin habe Ende 2015 hinreichende Kenntnis, zumindest aber grob fahrlässige Unkenntnis der maßgeblichen Tatsachen gehabt. Die Forderung sei deshalb mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt.

Die Verjährung sei auch nicht durch die kurzzeitige Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren im September 2019 gehemmt. Die Anhörung des Ehemanns der Klägerin habe ergeben, dass die Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren irrtümlich gewesen sei. Sie habe nie die Absicht gehabt, sich dem Verfahren anzuschließen. Deshalb sei es rechtsmissbräuchlich, sich auf die Hemmungswirkung zu berufen.

Gegen die Klageabweisung wendet sich die Klägerin mit der Berufung.

Sie ist der Auffassung, sie habe im Jahr 2015 nicht die anspruchsbegründenden Umstände sowie die Person des Schuldners gekannt. Die Sachlage sei unklar gewesen. Sie habe deshalb frühestens im Jahr 2018 eine Feststellungsklage erheben können. Ihr habe sich nicht unbedingt aufdrängen müssen, dass in einem Audi ein Motor der Beklagten verbaut sei. Das Landgericht habe keine eigenen Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin im Jahr 2015 den Dieselskandal als solches oder die Betroffenheit ihres Fahrzeuges gekannt habe.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Lübeck die Beklagte zu verurteilen,

an sie 8.396,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Audi A4 zu zahlen,

festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs seit 3 Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte beantragt,

Die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II. Die Berufung der Klägerin hat überwiegend Erfolg.

1. Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.

Denn in der Tat schädigte die Beklagte die Klägerin vorsätzlich und sittenwidrig, indem sie den von ihr hergestellten Motor unter Geheimhaltung einer darin eingesetzten Motorsteuerungssoftware zur Manipulation der Emissionswerte im Prüfstandsbetrieb in den Verkehr brachte.

Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten. Diejenigen natürlichen Personen im Hause der Beklagten, auf deren Kenntnis es ankommt, kannten alle tatsächlichen Umstände, hatten also Vorsatz. Hierzu wird auf die überzeugende Begründung des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19, Rn. 14f) verwiesen, das einen ähnlichen Fall betraf. In anderen, ebenfalls ähnlichen Fällen hat auch der Senat diese Voraussetz...

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