Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29.07.2021, Az. 6 O 98/21, unter Zurückweisung der Berufung und Abweisung der Klage im Übrigen, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 22.075,54 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ A4 2.0 TDI Avant mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein und Kfz-Brief.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Ziffer 1. genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu Ziffer 1. bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.501,19 EUR freizustellen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss
Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug wird auf 27.687,03 EUR festgesetzt (Zahlungsantrag zu Ziffer 1.: 25.687,03 EUR, Annahmeverzug: 1.000,00 EUR, Feststellungsantrag: 1.000,00 EUR).
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche aufgrund des sogenannten Dieselskandals. Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug gebraucht am 10.03.2015 mit einem Kilometerstand von 20.897 km zu einem Preis von 33.715 EUR gekauft. In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 189 verbaut. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Kiel am 08.07.2021 hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 87.355.
Der Kläger hat sich der Musterfeststellungsklage angeschlossen (Anlage K 30). Eine Abmeldung des Klägers fand nicht statt (Blatt 252); die Musterfeststellungsklage wurde von der Verbraucherzentrage Bundesverband e.V. am 04.05.2020 mit Einwilligung der Beklagten zurückgenommen. Die vorliegende Klage wurde am 03.02.2021 erhoben.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt:
Die Verjährungsfrist sei spätestens am 04.11.2020 abgelaufen. Daran ändere auch die klägerische Behauptung einer weiteren Manipulation im Rahmen des Softwareupdates nichts. Auch ein Anspruch aus § 852 BGB bestehe nicht. Nach § 195 BGB betrage die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Der Lauf dieser Verjährungsfrist habe mit Schluss des Jahres 2015 begonnen. Die Verjährungsfrist beginne nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Anspruchsteller Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person des Schuldners habe oder diese Kenntnis infolge grober Fahrlässigkeit nicht habe (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch sei im Jahr 2015 entstanden. Denn im Rahmen einer deliktischen Haftung (bspw. nach § 826 BGB) bestehe der Schaden im Abschluss des - eigentlich ungewollten - Kaufvertrages über das Fahrzeug (siehe nur OLG Schleswig BeckRS 2019, 29874), der hier im März 2015 erfolgte (Anlage K1). Das Ende der regelmäßigen Verjährungsfrist sei daher mit Ablauf des 31.12.2018 gegeben.
Der Kläger hätte im Jahr 2015 von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person der Schuldnerin Kenntnis erlangen müssen. Seine etwaige Unkenntnis im Jahr 2015 beruhe auf grober Fahrlässigkeit. Im letzten Quartal des Jahres 2015 seien in der Öffentlichkeit alle den Anspruch begründenden Umstände und die Person der Schuldnerin durch eine umfangreiche Presseberichterstattung bekannt gewesen. Es sei nicht vorstellbar, dass ein in Deutschland lebender Halter eines Dieselfahrzeugs der Beklagten und ihrer Konzernmarken bis Ende des Jahres 2015 ohne grobe Fahrlässigkeit keine Kenntnis davon gehabt habe.
Die Beklagte habe - ohne dass der Kläger dem entgegengetreten sei - in ihrer Klageerwiderung vom 13.04.2021 (dort S. 28 ff.) eine Reihe von Pressemitteilungen und Presseberichten dargelegt, aus denen sich ergebe, dass in der Öffentlichkeit seit September 2015 über den Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen in Fahrzeugen der Beklagten diskutiert worden sei.
Der Kläger habe im Rahmen der sekundären Darlegungslast Umstände vorzutragen, warum seine Unkenntnis trotz der breiten medialen Berichterstattung und der einfachen Möglichkeit, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln (s.a. OLG Stuttgart (10. Zivilsenat) BeckRS 2020, 5745; OLG Koblenz (3. Zivilsenat) BeckRS 2021, 1744...