Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für ein Absehen von der örtlichen Wartezeit bei der Bestellung eines Notars gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO
Leitsatz (amtlich)
1) Die Bestellung eines Notarbewerbers, der die Voraussetzung der örtlichen Wartezeit (§ 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNotO) nicht erfüllt, ist auf außergewöhnliche Sachverhalte beschränkt. Ein solcher außergewöhnlicher Sachverhalt ist nicht allein dadurch begründet, dass der Bewerber seine Kanzlei zu Beginn der örtlichen Wartezeit (30.09.) zwar volleingerichtet vorgehalten hat, seine juristische Tätigkeit dort jedoch erst nach Ablauf eines Wochenendes und eines sich daran anschließenden Feiertages am 4.10. aufgenommen und auch seine Kanzleiverlegung erst zum 4.10. gegenüber der Rechtsanwaltskammer angezeigt hat.
2) Auch § 11 EuRAG rechtfertigt unter diesen Umständen kein Absehen vom Erfordernis der örtlichen Wartezeit, da es nicht um die Unterbrechung, sondern um die Aufnahme einer Tätigkeit als Notar geht.
3) Sonstige Umstände wie Bedarfs- oder Gerechtigkeitsgründe könnten es zwar als unverhältnismäßig erscheinen lassen, die Erfüllung der Wartezeit zu verlangen, liegen hier aber nicht vor.
Normenkette
BNotO § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; EuRAG § 11
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 13. März 2020 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Bewerbung des Klägers auf die im Jahr 2019 im Bezirk des Amtsgerichts X ausgeschriebene Notarstelle - Bekanntmachung der Beklagten vom 01. Juli 2019 - 3830 E-14 - unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2. Die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Kosten.
4. Der Streitwert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger ist Rechtsanwalt und hat sich auf die im Jahr 2019 im Bezirk des Amtsgerichts X ausgeschriebene Notarstelle (Bekanntmachung der Beklagten vom 01.07.2019 - 3830 E-14) beworben. Auf diese Notarstelle bewarben sich eine weitere Bewerberin sowie Rechtsanwalt B (Beigeladener), der ebenso wie der Kläger im Jahr 1977 geboren wurde. Der maßgebliche Stichtag (Ende der Bewerbungsfrist) war der 30.09.2019. Der Mitbewerber B hatte zum 04.10.2016 seinen Kanzleisitz in den Amtsgerichtsbezirk X verlegt, was er mit Schreiben, datiert vom 30.09.2016, der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer angezeigt hatte.
Der Präsident der Schleswig-Holsteinischen Notarkammer hat sich für eine Ernennung des Klägers ausgesprochen.
Trotz formeller Nichteinhaltung der dreijährigen örtlichen Wartezeit nach § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BNotO wurde B von der Beklagten in die nach § 6 Abs. 3 BNotO zu treffende Auswahlentscheidung einbezogen. Dies begründete die Beklagte im Bescheid vom 13.03.2020 mit dem Vorliegen eines atypischen Sachverhalts, da ein besonders gelagerter Ausnahmefall vorliege und im Hinblick auf die Bestenauslese ein öffentliches Interesse bestehe, von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit abzusehen. Dem Bewerber B fehle ein sehr kurzer Zeitraum (ein verlängertes Wochenende bzw. ein Werktag) für die Einhaltung der Wartezeit und er hätte seine Kanzleiverlegung zudem bereits auch zum 30.09.2016 anzeigen können. Zudem liege die vom Bewerber B nach § 6 Abs. 3 BNotO erreichte Gesamtpunktzahl mit 9,76 Punkten erheblich über der vom Kläger (als Zweitplatziertem) erreichten Punktzahl von 7,39 Punkten. Im Einzelnen wird bezüglich der Begründung auf den Bescheid der Beklagten vom 13.03.2020 Bezug genommen.
Dieser Bescheid wurde dem Kläger am 26.03.2020 zugestellt. Seine hiergegen gerichtete Klage ging am 24.04.2020 beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht ein.
Im Jahr 2020 sind für den Bezirk des Amtsgerichts X fünf weitere Notarstellen ausgeschrieben worden. Auf diese haben sich - die Bewerbungsfrist war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat abgelaufen - wiederum der Kläger, der Beigeladene und die weitere Bewerberin beworben, die sich bereits auf die hier streitgegenständliche Notarstelle beworben hatten.
Der Kläger ist der Auffassung, die Auswahlentscheidung sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Der angefochtene Bescheid sei aufzuheben.
Die Beklagte habe den Bewerber B zu Unrecht in das Auswahlverfahren nach § 6 Abs. 3 BNotO einbezogen. Dem Ermessen nach § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BNotO seien enge Grenzen gesetzt. Es handele sich insoweit um ein gebundenes Ermessen. Die Bestellung eines Bewerbers, der die örtliche Wartezeit nicht erfülle, sei auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Sie komme nur in Betracht, wenn angesichts eines ganz außergewöhnlichen Sachverhaltes die Abkürzung der Regelzeit aus Gerechtigkeitsgründen oder aus Bedarfsgründen zwingend erscheine. Hier liege kein ganz außergewöhnlicher Sachverhalt vor, der die Abkürzung der Regelzeit aus Gerechtigkeits- oder aus Bedarfsgründen zwingend erscheinen lasse. Die Versäumung einer Frist um wenige Tage sei kein außer...