Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Störung der Geschäftsgrundlage früherer Konzessionsverträge durch spätere Verpflichtung zur Übertragung der für die Gasversorgung benötigten Leitungsnetze
Leitsatz (amtlich)
1. Die Berufung auf die Versäumung der Frist des § 13 Abs. 3 S. 1 EnWG 1998 kann mit § 242 BGB unvereinbar sein.
2. Art. 4 § 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24.4.1998 (BGBl. I, 730) steht der Annahme entgegen, dass gerade durch das In-Kraft-Treten des EnWG 1998 die Geschäftsgrundlage laufender Konzessionsverträge gestört werde. Das Festhalten am unveränderten Konzessionsvertrag nach In-Kraft-Treten des EnWG 1998 kann einem Energieversorgungsunternehmen auch bei einer Verpflichtung zur Übertragung eines Gasnetzes zugemutet werden, wenn es dafür einen dem Sachwert der Anlagen entsprechenden Kaufpreis erhält.
3. Der "automatische" Übergang der Tarifkundenverhältnisse mit Übertragung des Gasnetzes kann sich aus einer Auslegung des Konzessionsvertrages und dessen Endschaftsbestimmungen ergeben. Der Zustimmung der Kunden zur Vertragsübernahme bedarf es nach §§ 32 Abs. 6 S. 1, 2 Abs. 2 AVBGasV abweichend von § 415 Abs. 1 BGB nicht.
4. § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG begründet einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an notwendigen Verteilungsanlagen.
Normenkette
EnWG 1998 § 13 Abs. 3; EnWG § 46 Abs. 2, § 118; Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts v. 24.4.1998 Art. 4 § 1; KAV (Konzessionsabgabenverordnung) § 2 Abs. 6; AVBGasV § 32 Abs. 2, 6; GO Schl.-H. § 118; BGB §§ 242, 313, 415
Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 08.07.2005; Aktenzeichen 14 O Kart 48/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen I des LG Kiel vom 8.7.2005 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen in I.1. des Tenors dahingehend geändert, dass es am Ende "zzgl. gesetzlicher Umsatzsteuer" heißt, in I.3., 4. und 5. des Tenors wird das Teilurteil wie folgt geändert und neu gefasst:
I.3. Es wird festgestellt, dass mit der Übertragung der örtlichen Gasversorgungsanlagen an die Klägerin alle zwischen der Beklagten und Tarifkunden im Stadtgebiet X. nach der AVBGasV bestehenden Verträge über Gasversorgung auf die Klägerin übergehen. Im Übrigen wird die Klage in Ziff. 3. des Antrages der Klägerin (Urteilsausfertigung S. 11; Hauptantrag) abgewiesen.
I.4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Eigentum an den weiteren örtlichen Gasversorgungsanlagen, die der örtlichen Gasversorgung im Stadtgebiet X. dienen und die nicht in Anlage K 1 aufgelistet sind, auf die Klägerin zu übertragen.
I.5. Die Klage wird in Ziff. 6. des Antrages der Klägerin (Urteilsausfertigung S. 11 f.) abgewiesen.
Die Kosten der Berufung fallen zu 95 % der Beklagten, zu 5 % der Klägerin zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung in der Hauptsache durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 14.000.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen dürfen die Parteien die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird hinsichtlich I.4. des Tenors zugelassen.
Tatbestand
Klägerin ist eine 2003 gegründete Eigengesellschaft der Stadt X., die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der H.-Gaswerke GmbH. Sie sind im Streit über die Herausgabe des in X. belegenen Gasnetzes und der dazugehörenden Kundenvertragsverhältnisse.
Die H.-Gasweke GmbH schloss mit der Stadt X. einen am 1.1.1984 in Kraft getretenen und mit dem 31.12.2003 endenden Konzessionsvertrag über die Gasversorgung in X. Dort ist bestimmt, dass die Stadt X. oder ein von ihr zu benennender Dritter die den H.-Gaswerken gehörenden technischen Einrichtungen für die Versorgung käuflich übernehmen werde, wenn es auf Veranlassung der Stadt X. nicht zu einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses kommt. Der Kaufpreis sollte dem Sachwert der Anlagen zur Zeit der Übernahme entsprechend. Im Jahr 2003 beschloss die Stadt X., die Gasversorgung selbst durch die Klägerin durchführen zu lassen und schloss mit dieser einen entsprechenden neuen Konzessionsvertrag. Sie trat alle Ansprüche aus dem alten Konzessionsvertrag an die Klägerin ab. Verhandlungen der Stadt X. mit der Beklagten über die Herausgabe des Gasnetzes und die Kundenvertragsverhältnisse scheiterten, nicht zuletzt am Streit über den Sachwert der Anlagen. Keine Einigkeit konnten die Parteien erzielen über die nach Ende des alten Konzessionsvertrages noch zu zahlenden Konzessionsabgaben.
Die Beklagte hat die Wirksamkeit der Abtretung der Ansprüche aus dem alten Konzessionsvertrag und die Wirksamkeit des neuen Konzessionsvertrages bestritten. Sie hat weiter geltend gemacht, die Geschäftsgrundlage für Ansprüche aus dem alten Konzessi...