Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Kompensation überlanger Verfahrensdauer bei Einstellung eines Strafverfahrens gemäß § 153 Abs. 1 StPO
Leitsatz (amtlich)
1. Wird in einem Strafverfahren eine Verzögerungsrüge erhoben und das Verfahren später gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt, so stellt dies nur dann eine hinreichende Kompensation im Sinne des § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG dar, wenn die unangemessene Verfahrensdauer ein identifizierbarer und prägender Grund für die Einstellung war (Fortführung von Senat, Urteil vom 26. Juni 2020 - 17 EK 2/19 -).
2. Ob und inwieweit bei nicht hinreichender Dokumentation der zur Einstellung führenden Erwägungen in den Verfahrensakten weitere Sachaufklärung vorzunehmen ist, bleibt offen.
Normenkette
GVG §§ 198, 199 Abs. 3 S. 1; StPO § 153
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.600,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. März 2020 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist für den Kläger ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger war neben zwei anderen Tatverdächtigen - u.a. seiner Ehefrau - zunächst Beschuldigter, später Angeklagter in dem bei der Staatsanwaltschaft X. seit dem 13. Mai 2015 geführten Ermittlungsverfahren mit dem Az.: XXX. Dem Kläger wurde eine am 5. Mai 2015 gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft X am 1. September 2016 wurde das Verfahren schließlich nach vier Jahren und neun Monaten in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Y. am 18. Februar 2020 gemäß § 153 Abs. 2 StPO mit Zustimmung des Klägers, seines Verteidigers und der Staatsanwaltschaft eingestellt. Das Verfahren gegen die beiden anderen Angeklagten wurde nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt.
Der Klage liegt folgender Gang des Ermittlungsverfahrens zugrunde:
Am 6. Mai 2015 nahm die Polizeistation A. eine Strafanzeige gegen den Kläger und zwei weitere Beschuldigte auf. Ihnen wurde zur Last gelegt, am Abend des 5. Mai 2015 in die Wohnung der Ex-Freundin eines gemeinsamen Bekannten sowie deren Mutter eingedrungen zu sein und diese dabei körperlich misshandelt zu haben, indem sie ihnen u. a. Schläge und Tritte versetzten. Die Vernehmung der Geschädigten, die sich zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus befanden, erfolgte bereits am Tag der Anzeigenaufnahme. Schon zu diesem Zeitpunkt bestanden ausweislich der polizeilichen Feststellungen anlässlich der Aufnahme der Strafanzeige jedenfalls erhebliche Zweifel daran, dass sich der am Tatort anwesende Kläger an diesen Tätlichkeiten aktiv beteiligt hatte.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft X. erließ das Amtsgericht X. unter dem Az.: XXX. am 13. Mai 2015 einen Durchsuchungsbeschluss mit dem Ziel, ein möglicherweise entwendetes Handy sowie einen schlagstockartigen Gegenstand bei den Beschuldigten, so auch dem Kläger, aufzufinden. Der Beschluss wurde am 3. Juni 2015 ergebnislos vollstreckt. Im Anschluss hieran erfolgten Vorladungen an die Beschuldigten zur verantwortlichen Vernehmung, denen sie nicht nachkamen. Alle Beschuldigten beauftragten Verteidiger, welche noch im Juni 2015 Akteneinsicht beantragten. Im Mai und im Juni 2015 wurde sodann noch jeweils ein Zeuge vernommen. Weitere tatrelevante Ermittlungen erfolgten seit diesem Zeitpunkt nicht mehr.
Am 20. Juni 2015 erhob der Verteidiger des Klägers Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts X. vom 13. Mai 2015, der das Amtsgericht X. nach Vorlage der Akten durch die Staatsanwaltschaft am 24. Juli 2015 nicht abhalf. Die Akten gingen bei dem Landgericht X. - Beschwerdekammer - am 31. Juli 2015 ein. Zu einer Entscheidung über die Beschwerde kam es - ohne, dass in der Zwischenzeit eine verfahrensfördernde Handlung erfolgte - schließlich erst knapp ein Jahr später. Zunächst hatte die Kammer mit einer an die Staatsanwaltschaft X. gerichteten Zuschrift vom 2. September 2015 angefragt, ob eine einheitliche Entscheidung über die zwischenzeitlich weitere Beschwerde gegen die Durchsuchung des Verteidigers einer weiteren Beschuldigten vom 14. Juli 2015 erfolgen solle. Darauf sandte die Staatsanwaltschaft X. mit Zuschrift vom 25. September 2015 die Akten zur Entscheidung über die beiden Beschwerden wieder an die Kammer zurück. Am 18. Dezember 2015 vermerkte die zuständige Kammer, dass eine Bearbeitung "wegen vordringlicher zu bearbeitender Ks- und KLs-Sachen nicht möglich" sei. Erst mit Verfügung vom 15. April 2016 wurde die Bearbeitung der Beschwerden durch die 1. Große Strafkammer des LG X. wieder aufgenommen, wobei den Verteidigern der Beschuldigten vorab Akteneinsicht gewährt wurde. Mit Beschluss vom 22. Juni 2016 stellte die Kammer die Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts X. vom 13. Mai 2015 fest (AZ: XXX.).
Am 1. September 2016 erhob die Staatsanwaltschaft X. sodann gegen den Kläger und die Mitbeschuldigten Anklage wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzun...