Entscheidungsstichwort (Thema)
Diagnose und Behandlung bei Parkinsonverdacht
Leitsatz (amtlich)
1. Fehldiagnosen eines Arztes führen nur dann zu einer Haftung, wenn Krankheitserscheinungen in völlig unvertretbarer, der Schulmedizin entgegenstehender Weise gedeutet, elementare Kontrollbefunde nicht erhoben werden oder eine Überprüfung der ersten Verdachtsdiagnose im weiteren Behandlungsverlauf unterbleibt.
2. Die Verabreichung der Medikamente (LDopa: Madopar 62,5 bzw. Amantadin: Infusion PKMerz) ist zur Absicherung der Verdachtsdiagnose auf eine Parkinson Erkrankung indiziert.
3. Ein Facharzt für Allgemeinmedizin ist nicht verpflichtet, bei Verdacht auf eine Parkinson Erkrankung den Patienten vor dem Medikamenteneinsatz zu diagnostischen Zwecken an einen Neurologen zur klinischen Untersuchung zu überweisen. Die Behandlung von Parkinson-Patienten fällt auch in den Zuständigkeitsbereich von Allgemeinmedizinern und stellt insoweit keinesfalls eine ungewöhnliche Erkrankung dar. Ein Allgemeinarzt ist berechtigt, in der Frühphase der Erkrankung die verabreichten Medikamente einzusetzen.
4. In der Allgemeinmedizin wird nach dem Prinzip „watchfull waiting” auch gezielt mit Faktor Zeit zur Absicherung einer Diagnose gearbeitet, um den Patienten nicht unnötig einer „Überdiagnostik” in Form von Ausschlussdiagnosen der jeweiligen Spezialisten auszusetzen.
Verfahrensgang
LG Itzehoe (Urteil vom 11.03.2002; Aktenzeichen 6 O 293/00) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 11.3.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Itzehoe wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Klägerin beträgt 5.112,92 Euro.
Gründe
I. Die Klägerin beansprucht von dem Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes (mindestens 10.000 DM) wegen eines medikamentösen diagnostischen Behandlung, die fehlerhaft gewesen bzw. über die sie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei.
Der Beklagte, ein Arzt für Allgemein und Umweltmedizin, war im Dezember 1999/Januar 2000 in der Praxis der Allgemeinärztin Dr. med. W. in M. als Vertreter tätig. Frau Dr. W. war die Hausärztin der Klägerin.
Die Klägerin war im Herbst 1999 wegen eines sog. Tennisarms rechts („Epicondylitis humeri radialis”) ambulant im Westküstenklinikum H. operiert worden. In der Folgezeit litt sie unter Beschwerden im rechten Arm (Kraftminderung und schmerzhafte Bewegungseinschränkungen). Eine erste Untersuchung durch den Beklagten fand am 20.12.1999 statt, der Beklagte stellte u.a. einen diskreten Rigor sowie ein Armbeugen „Zahnradphänomen” fest. In der Folgezeit stellte der Beklagte die Verdachtsdiagnose eines Parkinson-Syndroms, die er auf folgende Symptome stützte: Rigor, jahrelange Beschwerden, Operation am rechten Arm wurde ohne neurologische Diagnostik durchgeführt, der Webstertest lag in der Zeit vom 20.12.1999 bis 11.1.2000 zwischen 6 und 11 Punkten. Zur weiteren diagnostischen Absicherung verordnete der Beklagte am 11.1.2000 das Medikament Madopar 62,5 mit einer Dosierung von drei Tabletten täglich. Das Medikament wurde noch am gleichen Tag von der Klägerin eingenommen. Zusätzlich erfolgten ab dem 18.1.2000 mindestens drei (die Klägerin behauptet fünf) Infusionen des Medikaments PKMerz (200 mg bzw. 500 ml täglich). Während die Untersuchung vom 11.1.2000 auf der Webster-Scala noch 11 Punkte ergab, konnten anlässlich der Untersuchung vom 19.1.2000 keine parkinsontypischen Symptome gem. Webster-Scala (0 Punkte) mehr festgestellt werden.
Die Klägerin behauptet, die Medikamente hätten so starke Nebenwirkungen entfaltet, dass sie äußerst depressiv, vollkommen phlegmatisch und nicht mehr in der Lage gewesen sei, einfache Haushaltstätigkeiten auszuführen. Sie habe deshalb am 25.1.2000 die Behandlung bei dem Beklagten abgebrochen, um die Diagnose bei dem Neurologen Dr. H. überprüfen zu lassen. Ausweislich des Arztbriefes des Neurologen Dr. H. vom 1.2.2000 bestand bei der Klägerin „keine behandlungsbedürftige extrapyramidalmotorische Störung”, eine Einschränkung ihrer Arbeitsfähigkeit lag ebenfalls zum Untersuchungszeitpunkt nicht mehr vor. An Parkinson war die Klägerin unstr. nicht erkrankt.
Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 DM für angemessen.
Das LG hat die Klage mit Urteil vom 11.3.2002 abgewiesen, und zur Begründung u.a. ausgeführt, dass der Einsatz der Medikamente als diagnostisches Mittel in der Frühphase einer Parkinson-Erkrankung nicht behandlungsfehlerhaft sei. Es habe auch keiner eingehenden Aufklärung bedurft.
Die Klägerin beantragt mit ihrer Berufung, das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld in angemessener Höhe zu zahlen, jedoch nicht unter 10.000 DM.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst aller Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat die Parteien im Termin vom 23.7.2003 persönlich...