Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1105, Nr 1317. Mangan-Exposition. Pestizid-Exposition. Enzephalopathie. Polyneuropathie. Wie-Berufskrankheit. Krankheitsbild. haftungsbegründende Kausalität. Vollbeweis. Erschöpfungssyndrom. Muskelschwäche. Parkinson-ähnliche Erkrankung. Landwirt. Hopfenanbau
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nrn. 1105 und 1317 der Anlage 1 zur BKV.
2. Ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die es im Sinne des § 9 Abs. 2 SGB VII rechtfertigen, eine durch Pestizide verursachte Parkinson ähnliche Erkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen, kann offenbleiben. Jedenfalls ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Pestizid Exposition und der Parkinson ähnlichen Erkrankung dann nicht hinreichend wahrscheinlich, wenn zwischen dem Ende der Pestizid Exposition und dem Zeitpunkt, ab dem die Diagnose der Erkrankung erstmals gerechtfertigt ist, ein Zeitraum von mehr als 10 Jahren liegt.
Normenkette
SGB VII § 7 Abs. 1, § 9
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.11.2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist streitig, inwieweit ein Erschöpfungssyndrom mit Muskelschwäche auf eine langjährige Tätigkeit des Klägers (Kl.) im Hopfenanbau mit Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln zurückzuführen und deshalb als Berufskrankheit (BK) im Sinne des § 9 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) anzuerkennen ist. Nach umfassender Prüfung möglicher BKen im Verwaltungsverfahren und im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren beschränkt sich der Streit in der Berufungsinstanz auf das Vorliegen der BKen Nr. 1105 (Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen) und Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sowie einer Parkinson-ähnlichen Erkrankung als Wie-BK i. S. d. § 9 Abs. 2 SGB VII.
Der 1954 geborene Kläger war von 1970 bis 1998 im eigenen Hopfenanbaubetrieb tätig und brachte in dieser Zeit regelmäßig Schädlingsbekämpfungsmittel (Herbizide, Insektizide und quecksilber- bzw. manganhaltige Fungizide) aus. Die landwirtschaftliche Nutzfläche des Betriebs betrug 15 ha, davon 6 ha Hopfenanbau. Die Mittel wurden 14 bis 15 mal jährlich gespritzt. Erst ab 1994 trug der Kl. dabei eine Atemschutzmaske. 1998 wurde der Hopfenanbau eingestellt. Von 1998 bis 2000 wurden 10 ha Getreide angebaut und Grünflächen bewirtschaftet. Seitdem werden nur noch Ferienwohnungen vermietet und Pferde für die Gäste gehalten.
Im Jahr 2002 spitzte sich ein angeblich bereits seit dem 40. Lebensjahr schleichend entwickelndes Erschöpfungssyndrom mit Müdigkeit und Kraftlosigkeit des Kl. zu, so dass dieser seinen Angaben zufolge im Oktober 2002 mehrere Wochen bettlägerig war. Ärztlich dokumentiert ist dieser Zustand nicht. Es entwickelte sich eine allgemeine Kraftlosigkeit und eine Muskelatrophie am rechten Oberschenkel. Der Kl. konnte sich an einen Virusinfekt im Frühjahr 2002 erinnern.
Nachdem es dem Kl. etwas besser ging, begab er sich zur diagnostischen Aufklärung stationär an das F-B-Institut an der Neurologischen Klinik C-Stadt. Nach dem dortigen Arztbrief vom 04.12.2003 ging man am ehesten von einer entzündlichen Erkrankung aus, es wurde ein Verdacht auf Myositis im Rahmen einer übergeordneten rheumatologischen Erkrankung in Remission diagnostiziert. Laut Arztbrief vom 25.02.2004 fand vom 28.01. bis 11.02.2004 eine erneute stationäre Behandlung statt, in deren Verlauf eine Biopsie vom rechten Oberschenkel entnommen wurde. Als Diagnose wurde eine generalisierte Muskelschwäche unklarer Ätiologie gestellt. Der morphologische Befund der entnommenen Muskelbiopsie vom 27.02.2004 ergab keinen Nachweis entzündlicher Veränderungen.
Ein stationärer Aufenthalt von 4 Wochen in der TCM-K. Mitte 2004 führte zur Hauptdiagnose einer generalisierten körperlich-geistigen Erschöpfung.
Am 01.10.2004 stellte sich der Kl. beim Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität B-Stadt, Prof. Dr. H. D., zur Abklärung vor. Nach dessen Arztbrief vom 12.10.2004 lässt sich ein Zusammenhang der Beschwerden mit dem beruflichen Umgang mit Pestiziden nicht begründen, da dieser ca. 6 Jahre vor der erheblichen Verschlimmerung geendet habe. Es bestehe jedoch ein erheblicher Verdacht, dass der Kläger an einer Schlafapnoe leide.
Die vom Kläger ebenfalls konsultierte Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. R. diagnostizierte am 01.12.2004 eine chronifizierte somatisierte depressive Störung (F 32.8).
Anfang 2005 erfolgte eine Untersuchung in einem Schlaflabor, die den Verdacht einer Schlafapnoe bestätigte. Die verschriebene Maske wurde vom Kl. aber nicht toleriert und deshalb nur kurzzeitig getragen.
Von 2005 bis 2006 begab sich der Kl. für einige Zeit in die Behandlung des Umweltmediziners Dr. M. in C-Stadt. Dieser ste...