Entscheidungsstichwort (Thema)
gesteigerte Verkehrssicherungspflicht von Räum- und Streupflichten an Verkehrsknotenpunkt
Leitsatz (amtlich)
Gesteigerte Verkehrssicherungspflicht des Räum -und Streupflichtigen an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt mit gesteigertem Fußgängerverkehr - hier Bussteig des ZOB -, dessen Pflasterung bei Nässe und Schneematsch in hohem Maße glätteanfällig ist.
Normenkette
GG Art. 34; BGB §§ 254, 839; SGB 10 § 116
Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 28.03.2012; Aktenzeichen 17 O 168/11) |
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin der 17. Zivilkammer des LG Kiel vom 28.3.2012 - 17 O 168/11 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin hat die Beklagte erstinstanzlich wegen eines Glatteisunfalls ihrer Versicherungsnehmerin, der Zeugin J., auf Schadensersatz für Heilbehandlungskosten i.H.v. insgesamt 10.763,09 EUR zzgl. Zinsen in Anspruch genommen. Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es Folgendes ausgeführt:
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme sei festzustellen, dass die Zeugin J. am 19.1.2010 gegen 11.20 Uhr auf dem Bussteig des ZOB im Bereich K./. B. in N. auf dort vorhandenem Schneematsch und hierdurch bedingter Glätte ausgerutscht und zu Fall gekommen sei. Infolgedessen sei es zu Verletzungen gekommen, welche die streitgegenständlichen Heilbehandlungskosten ausgelöst hätten. Die Beklagte sei am 19.1.2010 zu einer weiteren winterdienstlichen Behandlung der ZOB Bahnsteige verpflichtet gewesen. Bereits seit Ende Dezember 2009 seien die Außentemperaturen dauerhaft unter dem Gefrierpunkt gewesen. Selbst wenn die Lufttemperatur am Vormittag des Unfalltages, wie von der Beklagten behauptet, bei 3 C gelegen hätte, habe damit gerechnet werden müssen, dass die antauende Feuchtigkeit auf dem Boden jederzeit wieder habe überfrieren können, da über mehrere Wochen Dauerfrost geherrscht habe. Da es sich bei dem Unfallort, einem Busbahnsteig des ZOB N. um einen zentralen Verkehrspunkt mit hohem Verkehrsaufkommen gehandelt habe, sei dieser vorrangig und bei Bedarf im Tagesverlauf auch wiederholt winterdienstlich zu behandeln gewesen. Diese Pflicht habe die Beklagte verletzt. Aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin J. stehe fest, dass am Unfalltag eine teilweise ca. 5 cm dicke Schicht Schneematsch auf dem roten Klinkerpflaster des Busbahnsteigs vorhanden gewesen sei. Nachdem an dem Unfalltag vormittags seit längerer Zeit erstmals wieder Temperaturen von über 0 C aufgetreten seien, sei die feste Schneedecke teilweise angetaut gewesen. Dies sei möglicherweise auch durch den Einsatz von Taumitteln begünstigt worden. Hierdurch sei eine unebene Fläche mit einem schmierigen und rutschigen Film entstanden, auf dem die besondere Gefahr des Ausrutschens bestanden habe. Da die Beklagte auf Grund der amtlichen Warnung des DWD gewusst habe, dass die Temperatur jederzeit wieder unter 0 C habe fallen können, seien auch im weiteren Tagesverlauf noch Räum- und Streuarbeiten erforderlich gewesen. Insbesondere habe der angetaute und unebene Schneematsch entweder entfernt oder zumindest mit Sand oder ähnlichen abstumpfenden Mitteln gestreut werden müssen.
Ein zurechenbares Mitverschulden der Zeugin J. sei nicht festzustellen. Die Zeugin sei auf dem griffigen Belag der Straße gegangen und habe nicht ahnen können, dass der Bussteig derart glatt gewesen sei, als sie diesen bestieg. Auch habe sie hinreichend auf die Bodenverhältnisse geachtet. Immerhin sei sie in der Lage gewesen, im Rahmen der Beweisaufnahme eine detaillierte Schilderung der Bodenverhältnisse abzugeben.
Die Aufwendung der Klägerin für die stationäre Behandlung der Zeugin J. im FEK N. i.H.v. 10.421,75 EUR sowie für Bandagen i.H.v. 100,24 EUR seien zwischen den Parteien unstreitig. Darüber hinaus bestehe für die Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der Pauschale für eine ambulante Behandlung i.H.v. 126 EUR. Dies folge aus den § 116 Abs. 8 SGB X i.V.m. § 18 SGB IV. Überdies habe die Klägerin nachgewiesen, dass ihr für Physiotherapie der Versicherten Aufwendungen i.H.v. 115,10 EUR entstanden seien. Für die krankengymnastische Behandlung seien nämlich in der Zeit vom 23.3. bis zum 19.4.2010 sogar 125,10 EUR abgerechnet worden. Hiervon mache die Klägerin einen Betrag von 115,10 EUR geltend. Dies sei nicht zu beanstanden.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie greift das Urteil mit folgenden Erwägungen an:
- Die Klägerin habe den Beweis nicht geführt, dass die Zeugin J. zu einer Zeit, als eine Streupflicht für die Beklagte bestanden habe, auf Grund der Verletzung dieser Pflicht zu Fall gekommen sei. Entgegen der Auffassung des LG sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, nach 09.30 Uhr weiteren Winterdienst bzw. erneute Streumaßnahmen zu veranlasse...