Entscheidungsstichwort (Thema)
Unklarheitenregel bei sich überschneidenden AGB-Klauseln
Leitsatz (amtlich)
1. Überschneiden sich zwei Klauseln der in einen Vertrag wirksam einbezogenen allgemeinen Geschäftsbedingungen in ihrem Anwendungsbereich und lässt sich eine bestimmte Anwendungsreihenfolge oder ein Anwendungsvorrang einer der beiden Klauseln nicht ermitteln, greift die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB dahin, dass die für den Kunden ungünstigere Klausel zu Lasten des Verwenders nicht anwendbar ist.
2. Maßgebend für die Anwendung der Unklarheitenregel ist eine abstrakt-generelle Betrachtung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Es kann deshalb vom Verwender nicht eingewandt werden, jedenfalls im konkreten Fall sei die Klausel nicht mehrdeutig.
Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 13.11.2008) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter ihrer Zurückweisung im Übrigen - das am 13.11.2008 verkündete Urteil der Handelskammer II des LG Kiel geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.644.505 Liter Biodiesel mit der Bezeichnung EN 14214 Zug um Zug gegen Zahlung von 1.085.373,30 EUR zu liefern.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 7.034,80 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 20.8.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 18 % und die Beklagte zu 82 %. Die Kosten des Berufungsrechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Beklagten bleibt die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt mit ihrer der Beklagten am 19.8.2008 zugestellten Klage im Wege des Urkundsprozesses die Lieferung von Biodiesel.
Die Klägerin betreibt als Einzelhandelskaufmann einen Güternah- und Fernverkehr. Die Beklagte betreibt als Einzelhandelskaufmann das Geschäft der Belieferung mit Heizöl, Kraft- und Schmierstoffen sowie das der Tankreinigung.
Am 31.10.2007 schlossen die Klägerin und die Beklagte einen Kaufvertrag über 2.000.000 Liter Bio-Diesel EN 14214 zu einem Preis von 66 EUR pro 100 Liter zzgl. gesetzlicher Energie- und Mehrwertsteuer. In der Verkaufsbestätigung vom 31.10.2007 (Anlage K 1) heißt es unter dem Punkt Liefertermin: "16.4.2008 bis 30.9.2008" und unter dem Punkt Preis u.a.: "Sollte es seitens der Ölmühle zu Produktionsausfällen oder sonstigen Ausfällen (höhere Gewalt) kommen, behalten wir uns das Recht vor, den Liefertermin zu verschieben oder auch nur verfügbare Teilmengen zur Verfügung zu stellen". Gegenstand des Vertrages waren auch die Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der Beklagten aus 12/05 (Anlage K 2), deren Ziff. 6.4 lautet: "Werden wir von unserem Zulieferer im Rahmen eines Deckungsgeschäftes aus von uns nicht schuldhaft herbeigeführten Gründen nicht oder nicht so rechtzeitig beliefert, dass wir unsere Liefer-/Leistungspflicht ggü. dem Kunden termingerecht erfüllen können, dann steht uns das Recht zu, von dem mit dem Kunden geschlossenen Vertrag, soweit er sich auf nicht lieferbare Ware bezieht, zurückzutreten".
Die Beklagte kaufte am 8.11.2007 bei der Firma C GmbH & Co. KG 2.000.000 Liter Bio-Diesel EN 14214 (vgl. im Einzelnen Anlage B 1), um diese an die Klägerin liefern zu können.
Das AG Würzburg ordnete mit der Geschäftsnummer 1 IN 275/08 durch Beschluss vom 27.5.2008 bezüglich des Vermögens der Firma C GmbH & Co. KG die vorläufige Insolvenzverwaltung an, was der vorläufige Insolvenzverwalter Rechtsanwalt B der Beklagten mit Schreiben vom 2.6.2008 mitteilte (Anlage B 4). Am 4.6.2008 eröffnete die Beklagte der Klägerin, dass ihr Lieferant in Insolvenz gefallen sei. Daher bezöge sie den Biodiesel jetzt auch nicht mehr über diesen Lieferanten, sondern sei nur noch in der Lage, Biodiesel im Spotgeschäft zu Tagespreisen einzukaufen (Anlage K 3).
Am 10.6.2008 forderte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben die Beklagte auf, den abgeschlossenen Kaufvertrag zu erfüllen (Anlage K 4). Die Beklagte teilte am 19.6.2008 mit, dass sie das Schreiben der Klägerin so verstehe, dass Schadensersatzansprüche geltend gemacht würden und dass solche Schadensersatzansprüche zurückgewiesen würden. Nach dem Liefervertrag bzw. nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei die Beklagte nicht verpflichtet, die Forderungen der Klägerin zu erfüllen (Anlage K 5). Die Beklagte erklärte mit Rechtsanwaltsschreiben vom 25.8.2008 (Anlage B 10) und Schriftsatz vom 3.9.2008 (Bl. 19 d.A.) sowie dem Schreiben vom 12.9.2008 (Bl. 29 d.A.) den Rücktritt vom Vertrag.
Im April/Mai 2008 erfolgte eine Lieferung von 355.495 Liter Biodiesel EN 14214 an die Klägerin (Anlage B 11).
Die Klägerin hat vorgebracht, sie habe mangels wirksamen Rücktritts der Beklagten einen Anspruch auf Auslieferung des Dieseltre...