Keine beliebig langen Lieferzeiten beim Autokauf
Das AG Hanau hat sich in einer Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Käufer von einem Kaufvertrag über einen Pkw kostenfrei zurücktreten kann, wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist liefert.
Autohändler hielt sich den Lieferzeitraum offen
In dem vom AG entschiedenen Fall hatte der Kläger im Juli 2022 mit der Beklagten einen Kaufvertrag über einen Neuwagen zu einem Kaufpreis von etwas über 20.000 EUR geschlossen. Im Verkaufsgespräch wies der Mitarbeiter der Beklagten den Kläger ausdrücklich darauf hin, dass wegen Störungen in den Lieferketten der Hersteller keine Zusage über den Zeitpunkt der Fertigstellung des Fahrzeugs machen könne. In den dem Kaufvertrag zugrunde liegenden AGB hieß es: „Aufgrund der aktuellen Liefersituation werden alle Bestellungen ohne Liefertermin und unverbindlich vorbehaltlich einer Produktion bestätigt“.
Rücktritt wegen Nichtlieferung ca. ein Jahr nach Vertragsabschluss
In den darauffolgenden Monaten bat der Kläger wiederholt um Auskunft über den Lieferzeitpunkt und setzte der Beklagten im Juni 2023 eine Frist zur Lieferung bis spätestens Anfang Juli 2023. Mitte Juli 2023 - also ca. ein Jahr nach Abschluss des Kaufvertrages – erklärte der Kläger schriftlich den Rücktritt vom Kaufvertrag. Hierauf forderte die Beklagte vom Kläger die Zahlung von „Stornogebühren“ in Höhe von etwas über 3.000 EUR. Die Beklagte berief sich hierbei auf eine weitere Bestimmung in ihren AGB, wonach der Käufer verpflichtet ist, im Fall der Nichtabnahme des gekauften Fahrzeugs einen pauschalierten Schadenersatz in Höhe von 15 % des Kaufpreises zu leisten.
Beliebig lange Lieferzeit ist unangemessene Verbraucherbenachteiligung
Hierauf erhob der Kläger Klage auf Feststellung, dass der Beklagten die geltend gemachten Stornogebühren nicht zustehen und hatte Erfolg. Das AG bewertete die AGB, wonach kein verbindlicher Liefertermin genannt wurde, als unangemessen und damit als unzulässig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 271 Abs. 1 BGB könne der Gläubiger eine Leistung sofort verlangen, wenn eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen sei. Im Hinblick darauf enthalte die Bestimmung einer zeitlich unbegrenzten Liefermöglichkeit ohne jede Einschränkung eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung, die den Käufer unangemessen benachteiligt und die daher gem. § 308 Nr. 1 BGB unzulässig sei.
Frist zur Leistung muss angemessen sein
Im Juni 2023, also ca. 11 Monate nach Abschluss des Kaufvertrages, habe der Kläger der Beklagten eine Frist zur Leistung gesetzt. Eine solche Frist zur Leistung müsse wie eine Fristsetzung zur Nacherfüllung angemessen sein. Bei der Bestimmung der Angemessenheit einer solchen Frist sei zu berücksichtigen, dass ein Käufer im Falle eines Autokaufs bei völliger Ungewissheit des Lieferzeitpunkts für längere Zeit privates Kapital in nicht unwesentlicher Höhe binde. Andererseits habe der Handel ein anerkennenswertes Interesse daran, bei noch zu produzierenden Neufahrzeugen durch nicht zu kurze Leistungsfristen keine unkalkulierbaren Risiken einzugehen.
Beim Autokauf ist Lieferfrist von ca. einem Jahr angemessen
Im Ergebnis hielt das Gericht bei der Lieferung eines Pkw unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls eine Lieferfrist von ca. einem Jahr für angemessen. Ergänzend wies das Gericht darauf hin, dass zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung Ende Januar 24 bereits 18 Monate seit Vertragsschluss verstrichen waren. Mit 18 Monaten sei die Zumutbarkeitsgrenze für den Käufer in jedem Fall erreicht und der Käufer daher zum Rücktritt berechtigt.
Rücktrittsrecht ist verschuldensunabhängig
Das Rücktrittsrecht besteht nach der Entscheidung des AG unabhängig von einem möglichen Verschulden der Verkäuferseite. Infolge des berechtigten Rücktritts sei der Käufer anschließend nicht mehr verpflichtet, das Fahrzeug abzunehmen. Die Bestimmung in den AGB, wonach im Fall der Nichtabnahme ein pauschalierter Schadenersatz in Höhe von 15 % des Kaufpreises zu leisten ist, könne nach Wegfall der Abnahmeverpflichtung nicht mehr zur Anwendung kommen.
Kein Anspruch der Beklagten auf „Stornogebühr“
Damit bestand nach der Entscheidung des AG kein Anspruch der Beklagten auf Geltendmachung eines pauschalierten Schadenersatzes. Die Klage auf Feststellung, dass die geltend gemachte „Stornogebühr“ nicht bestand, war damit erfolgreich.
(AG Hanau, Urteil v. 31.1.2024, 39 C 111/23)
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