Entscheidungsstichwort (Thema)

Versichererhaftung für vor Vertragslaufzeit verursachte, aber erst während Vertragslaufzeit erkennbar werdende Leitungswasserschäden

 

Leitsatz (amtlich)

Die Klauseln über Leitungswasserschäden in §§ 1 Nr. 1 lit. b, 3 Nr. 3 VGB 2008 sind dahin auszulegen, dass der Versicherer für alle die Leitungswasserschäden haftet, die innerhalb der Vertragslaufzeit erkennbar werden, auch wenn die Ursachen für die Schäden - für den Versicherungsnehmer nicht erkennbar - schon vor Vertragsbeginn gesetzt worden sind.

 

Normenkette

VGB 2008 § 1 Nr. 1 Buchst. b, § 3 Nr. 3

 

Verfahrensgang

LG Flensburg (Urteil vom 16.06.2014)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Flensburg vom 16.6.2014 abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.650 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 22.8.2013 sowie zu Händen des Rechtsanwalts S., H., 958,19 EUR außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Senat lässt - nur - im Hinblick auf die Frage der Auslegung der Gebäudeversicherungsbedingungen (Leistung auf alle während der Vertragszeit zutage getretenen Nässeschäden) die Revision zu.

 

Gründe

I. Der Kläger ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in H., das er Anfang des Jahres 2013 erwarb und das vordem bei der P. versichert war. Zum 2.1.2013 schloss er bei dem Beklagten eine verbundene Wohngebäudeversicherung ab (Versicherungsschein Anlage K 1, Bl. 7), der die VGB 2008-SL (Bl. 9) zugrunde lagen.

In der ersten Augustwoche (und nicht, wie es im Tatbestand des angefochtenen Urteils [U 2]) heißt, am 21.8.2013 - platzte ein Wasserrohr, das zu einem Heizkessel führte, wodurch Leitungswasser in die darunter liegenden Räumlichkeiten drang. Der Beklagte, dem der Kläger den Schaden am 22.8.2013 meldete, ließ durch das Sachverständigenbüro S. feststellen, dass - wie schon zuvor von den Bezirkstaxator W. der P. befunden - das geplatzte Wasserrohr korrodiert war, weil darauf Wasser tropfte, das aus einer ihrerseits korrodierten und geplatzten Vorlaufleitung der Heiztherme ausgetreten war.

Der Beklagte verweigerte die Regulierung des von dem Bezirkstaxator der P. W. auf netto 10.650 EUR bemessenen Schadens (vgl. Anlage K 5, Bl. 23) mit Schreiben vom 20.9.2013 (Anlage K 2, Bl. 17) mit der Begründung, dass die durch die Leckage an der Vorlaufleitung der Heiztherme verursachte Korrosion der Anschlussleitung nicht innerhalb weniger Tage entstanden sein könne, sondern dies ein Vorgang sei, der sich über mehrere Monate hinweg entwickele; dem Sachverständigenbüro zufolge sei daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das schadensverursachende Ereignis schon vor dem Versicherungsbeginn beim Beklagten liege.

Mit dem Einwand, der Schaden sei nicht in bei ihr versicherter Zeit entstanden, lehnte auch die P., an die der Beklagte den Kläger verwiesen hatte, die Regulierung ab.

Mit der auf Zahlung von 10.650 EUR und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 958,19 EUR gerichteten Klage hat der Kläger geltend gemacht, für die Beurteilung des Eintritts des Versicherungsfalls könne nicht im Sinne der "Theorie des ersten Tropfens" auf den Zeitpunkt der ersten Ursache abgestellt werden. Für die Deckungspflicht komme es auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Versicherungsnehmers vom Schadenseintritt an. Daher spiele keine Rolle, wann ein Wasserschaden begonnen habe, sondern sei maßgeblich, zu welchem Zeitpunkt sich (aus Sicht des Versicherungsnehmers) der tatsächliche Schadenseintritt ereignet habe. Stelle man auf den Beginn des schadensstiftenden Ereignisses ab, stehe der Versicherungsnehmer rechtlos dar; bei Korrosionsschäden werde nämlich niemals nachträglich hinreichend geklärt werden können, wann die Korrosion begonnen habe. Im Übrigen könne es auch nicht angehen, dass bei ununterbrochenem Versicherungsschutz Deckungslücken entstünden, die der Versicherungsnehmer nicht zu vertreten habe.

Der Beklagte hat demgegenüber bestritten, dass der Versicherungsfall im Sinne des "ersten Tropfens" während "seines" Haftungszeitraums eingetreten sei. Der Kläger habe das nicht dargelegt und könne es auch nicht beweisen. Vielmehr sei der Sachverständige Po. des Büros S. richtig dazu gekommen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Schaden schon vor Versicherungsbeginn bei dem Beklagten sich ereignet haben müsse; der erstmalige Austritt des Wassers sei vor Versicherungsbeginn erfolgt (Bl. 35/36). Weiter hat er die Höhe der geltend gemachten Reparaturkosten bestritten; insbesondere sei beim Warmwasserspeicher und beim Fertigschrank kein Zeitwertabzug erfolgt und sei auch nicht dargel...

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