Leitsatz (amtlich)
Schadenersatzanspruch gegen VW für Diesel-Kraftfahrzeugen mit unzulässiger Abschaltsoftware gem. § 826 BGB unter Anrechnung des Wertes der gezogenen Gebrauchsvorteile ohne Ersatz von Deliktszinsen
Normenkette
BGB §§ 249, 826, 849; RVG-VV Nr. 3000
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das am 3. Mai 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Beklagten wie folgt geändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.384,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Januar 2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Golf VI Plus, 1.6 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) XXX nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des vorgenannten Fahrzeugs seit dem 10. Januar 2019 in Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass der in Antrag 1 bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Januar 2019 zu zahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen der Kläger 6 % und die Beklagte 94 %.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können jeweils die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenpartei zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
8. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Fahrzeugherstellerin auf Schadenersatz wegen des sogenannten "Abgasskandals" in Anspruch.
Mit Kaufvertrag vom 11.04.2013 kaufte der Kläger beim Autohaus E. GmbH & Co. KG in K. ein Neufahrzeug der Marke VW Golf VI Plus Trendline, 1,6 TDI, Fahrgestellnummer XXX, zum Preis von brutto 22.466,00 EUR (= 23.000,00 EUR ./. Zulassungskosten in Höhe von 130,00 EUR und ./. Selbstabholerpaket in Höhe von 395,00 EUR; vgl. Anlage K 1). Das Auto hatte beim Kauf einen km-Stand von 0 km. Mit gesondertem Vertrag gab der Kläger sein Gebrauchtfahrzeug Opel Meriva, amtl. Kennzeichen XXX, in Zahlung.
In dem Fahrzeug ist der Motor mit der Typenbezeichnung EA 189 verbaut. Dieser Motor war im Zeitpunkt des Kaufvertrages mit einer Software ausgestattet, welche einen Stockoxid-optimierten Betriebsmodus aufwies, der nur beim Durchfahren des neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) aktiviert wurde. Bei normaler Fahrt im Straßenverkehr wurde ein anderer Betriebsmodus aktiviert, welcher eine geringere Abgasrückführungsrate und einen höheren Ausstoß an Stickoxid aufwies als der Modus für Prüfsituationen. Auf dem Rollenprüfstand schaltete die Motorsteuerung nämlich einen NOx-optimierten Modus 1 ein, bei dem es eine erhöhte Abgasrückführungsrate gibt. Im normalen Fahrbetrieb wurde der Motor hingegen im Modus 0 betrieben, in welchem die Euro-5-Grenzwerte überschritten wurden. Nach Installation eines Softwareupdates wird das Fahrzeug heute auch im Straßenverkehr mit einem angepassten Modus mit erhöhter Abgasrückführung betrieben.
Am 22. September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Mitteilung, derzufolge nach bisherigen internen Prüfungen weltweit rund 11 Millionen Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 Auffälligkeiten in Bezug auf ihren Stickoxid-Ausstoß aufwiesen.
Das Kraftfahrtbundesamt, das in der verbauten Software - anders als die Beklagte - eine den gesetzlichen Vorgaben der VO (EU) Nr. 715/2007 widersprechende Abschalteinrichtung sieht, ordnete am 15. Oktober 2015 den Rückruf von 2,4 Millionen Markenfahrzeugen an und verlangte, dass alle Fahrzeuge, die über eine solche Software verfügten, in den vorschriftsmäßigen Zustand zu versetzen seien. Der VW-Konzern entwickelte daraufhin für den betroffenen Motortyp ein Softwareupdate, das dazu führen soll, dass der Prüfstandmodus künftig auch für den Betrieb des Fahrzeuges unter realen Bedingungen im Straßenverkehr maßgeblich ist und gleichzeitig die Stickoxidvorgaben der Euro-5-Norm eingehalten werden. Das Kraftfahrtbundesamt erteilte die Freigabe des Softwareupdates für den betroffenen Motortyp.
Der Kläger ließ dieses Softwareupdate im ersten Halbjahr 2018 aufspielen. Seitdem läuft der Motor nur noch im Modus 1.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 19. Juni 2018 (Anlage K 29) nahm der Kläger die Beklagte wegen Betruges und sittenwidriger Schädigung auf Schadenersatz in Anspruch und forderte die Rückzahlung des Kaufpreises von 23.000,00 EUR Zug um Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Pkws binnen einer Frist von einem Monat ab Zugang des Schreibens. Gleichzeitig wies der Kläger darauf hin, dass er noch an einer güt...