Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen fehlerhafter Durchführung des Vergabeverfahrens im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung von Erschließungsarbeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Der Vermögensschaden ist im Wege der Differenzhypothese zu ermitteln, dabei muss sich jedoch der Geschädigte im Wege der Vorteilsausgleichung die ersparten Aufwendungen anrechnen lassen.
2. Der Einwand ersparter Aufwendungen bei der Geltendmachung von entgangenem Gewinn i.S.v. § 252 BGB ist von Amtswegen zu prüfen.
3. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass der Geschädigte für die Höhe des Schadensersatzanspruchs und damit auch für die ersparten Aufwendungen die volle Darlegungs- und Beweislast trägt.
4. Nicht zu den ersparten Aufwendungen gehören wegen ihres Fixkostencharakters die baubetriebswirtschaftlichen Kalkulationsposten "Allgemeine Geschäftskosten" sowie "Wagnis und Gewinn".
Verfahrensgang
LG Lübeck (Urteil vom 20.12.1999; Aktenzeichen 10 O 221/93) |
Tenor
Auf die wechselseitigen Berufungen der Parteien wird das am 20.12.1999 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des LG Lübeck teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 379.221,90 Euro (= 741.693,56 DM) nebst 5 % Zinsen seit dem 7.1.1998 abzgl. einer am 1.3.2000 geleisteten Zahlung i.H.v. 432.699,45 Euro (= 846.286,56 DM) zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die weiter gehenden Berufungen der Parteien werden zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits im 1. und im 2. Rechtszug tragen die Klägerin 64 % und die Beklagte 36 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, es denn, die Klägerin leistet vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
6. Die Beschwer beträgt für die Klägerin 665.688 Euro (= 1.301,974 DM) und für die Beklagte 379.222 Euro (= 741.693 DM).
Tatbestand
Die Klägerin, ein Lübecker Tiefbauunternehmen, nimmt die Beklagte, bei der die Hansestadt Lübeck zu 90 % Gesellschafterin ist, auf Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluss in Anspruch.
Im Jahre 1992 übernahm die Beklagte durch städtebaulichen Vertrag mit der Hansestadt Lübeck die Erschließung eines Baugebietes in der "Vorrader Straße" in Lübeck. Die Siel- und Straßenbauarbeiten wurden auf der Grundlage der VOB öffentlich ausgeschrieben. Die Klägerin bot mit und legte am 29.4.1992 das rechnerisch günstigste Angebot vor (Nettoangebotssumme 5.596.749,50 DM, Bl. 200 d.A.). Hinzu kam ein Nebenangebot der Klägerin wegen eines Nachlasses hinsichtlich vier Positionen i.H.v. 82.560 DM netto (Anlagenband roter Leitzordner DB 6). Zur Prüfung der Leistungsfähigkeit forderte das ausschreibende Ingenieurbüro B. die Klägerin mit Schreiben vom 5.6.1992 zur Einreichung weiterer Unterlagen (u.a. Nachweis der bis Ende Mai 1992 beschäftigten Mitarbeiter, qualifizierten und detaillierten Bauzeitenplan etc.) auf. Die Klägerin übersandte mit Schreiben vom 9.6.1992 sog. einheitliche Formblätter (im Folgenden EFB genannt) an das Ingenieurbüro Bertz (EFB-Preis 1 Ausbau; Bl. 431 d.A.; EFB-Preis 1a Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation, Bl. 432 d.A.; EFB-Preis 1b Preisermittlung bei Kalkulation über die Endsumme, Bl. 433 d.A.; EFB-Preis 2 Aufgliederung wichtiger Einheitspreise, Bl. 428 + 429 d.A.; EFB Leistungsverzeichnis für die Erstattung von Stoffmehr- oder Minderaufwendungen, Bl. 430 d.A. sowie ein Formblatt über die Aufgliederung der Angebotssumme, Bl. 434 d.A.). Ferner teilte die Klägerin mit dem o.g. Schreiben vom 9.6.1992 mit, dass man beabsichtige, die Baustelle mit "mindestens 16 Mann zu besetzen" und - soweit von auslaufenden Baustellen keine Leute frei würden - man beabsichtige, "mindestens weitere 10 qualifizierte Rohrleger und Straßenbauer einzustellen" (Bl. 80 d.A.). Bei einer Nachprüfung der Klägerin im Rahmen einer Aufklärungsverhandlung nach § 24 VOB/A, die am 11.6.1992 stattfand, kam die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nicht wegen vermuteter Leistungsmängel als Mindestbietende ausgeschlossen werden konnte.
Trotzdem erhielt die Klägerin den Zuschlag nicht, weil es - unmittelbar vor der Vertragsunterzeichnung - plötzlich Unstimmigkeiten im Angebot der Klägerin (Position 1.7.017: 680 DM statt 6,80 DM) gab. Vom Geschäftsführer der Klägerin wurde der Manipulationsvorwurf erhoben; er erstattete am 19.6.1992 Strafanzeige "gegen unbekannt" wegen Urkundenfälschung und Betruges. Dieser Vorwurf konnte aber im Zuge des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens und einer optisch-physikalischen Untersuchung des Spurenbildes nicht bestätigt werden. Das Amt für Stadtentwässerung der Hansestadt Lübeck sprach sich am 16.7.1992 "aus Gründen der Ausschreibungsk...