Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den dem (Nutz-)Tierhalter obliegenden Entlastungsbeweis gem. § 833 Satz 2 BGB bei einem in Panik von einer Hauskoppel ausgebrochenen Rind
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Nutztierhalter (hier: Landwirt) obliegt auch nach dem von ihm bemerkten Ausbruch eines Rindes von der Hauskoppel und damit nach dem Kontrollverlust über das Tier die Verpflichtung, alle Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung von Unfällen erforderlich sind. Dazu gehört auch die Benachrichtigung der Polizei, damit diese Maßnahmen zur Sicherung des fließenden Verkehrs in der Umgebung durchführen kann.
2. Die gängige landwirtschaftliche Praxis, Rinder, die aufgestallt werden sollen, vorübergehend auf einer betriebsnahen kleineren Hofweide (Auslauf) zu belassen, stellt als solches keinen Verstoß gegen die Hütesicherheit dar.
Leitsatz (redaktionell)
Das vorübergehende Belassen von Rindern, die alsbald aufgestallt werden sollen, auf einer kleinen Hauskoppel stellt als solches keinen Verstoß gegen die Hütesicherheit dar.
Normenkette
BGB § 833 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufungen des Klägers zu 1. gegen das am 16.1.2008 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des LG Itzehoe und des Klägers zu 2. gegen das am 28.1.2009 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Itzehoe werden zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte, mit Ausnahme der Kosten des Revisionsverfahrens, die der Kläger zu 1. allein trägt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Parteien streiten um Schadensersatz für die Beschädigung der Fahrzeuge der Kläger durch ein Rind des Beklagten.
Nachdem der BGH auf die Zulassung der Revision durch den Senat die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Haftungsprivilegs des § 833 Satz 2 BGB für Nutztierhalter bestätigt hat, streiten die Parteien noch, ob das Rind des Beklagten von der Hausweide auch bei intakter Sicherung durch Holzpfähle und Draht ausgebrochen wäre und ob der Unfall mit den Fahrzeugen nicht entstanden wäre, wenn der Beklagte, bevor er sich auf die Suche nach dem ausgebrochenen Rind begab, die zuständige Polizeidienststelle telefonisch benachrichtigt hätte.
Der Beklagte ist Landwirt und betreibt Rindviehhaltung. Am 30.10.2006 brachen fünf weibliche, tragende Jungrinder aus der Koppel hinter dem Haus aus. Als der Beklagte dieses gegen 17.30 Uhr bemerkte, gelang es ihm, vier Rinder alsbald einzufangen; das fünfte Rind war in eine andere Richtung als die vier übrigen gelaufen und hatte sich auf die Kreisstraße begeben; der Kläger machte sich mit seiner Tochter auf die Suche nach dem fünften Rind; die zuständige Polizeidienststelle benachrichtigte er nicht.
Die Ehefrau des Klägers zu 1., die Zeugin K R, war zu diesem Zeitpunkt mit dem Fahrzeug des Klägers auf der Kreisstraße von Sch in Richtung P unterwegs. Gegen 18.00 Uhr bemerkte sie im Lichtkegel plötzlich das Rind auf der Fahrbahn; es kam zur Kollision zwischen dem Rind und dem Fahrzeug. Anschließend kam es zu einem weiteren Zusammenstoß des Rinds mit dem Fahrzeug des Klägers zu 2., der hinter dem Fahrzeug des Klägers zu 1. gefahren war. Die Beifahrerin in dem Fahrzeug des Klägers zu 2. rief die Polizei an, die nach ca. 20 Minuten fast zeitgleich mit dem Beklagten, der auf der Suche nach dem ausgebrochenen Rind war, eintraf.
Die Versicherung des Beklagten weigerte sich, die Schäden der Kläger zu ersetzen, weil die Koppel ordnungsgemäß mit einem ein Meter hohen Stacheldrahtzaun und einem einwandfrei funktionierenden Elektrozaun versehen gewesen sei.
Der Kläger zu 1. hat behauptet:
Seine Ehefrau habe den Unfall nicht vermeiden können; unmittelbar zu Beginn einer Linkskurve sei plötzlich das Rind auf der rechten Fahrbahnseite aufgetaucht und galoppierend in das Fahrzeug gelaufen. Seiner Ehefrau sei es gelungen, das Fahrzeug vor der Kollision noch zum Halten zu bringen; das Rind sei im Weiterlaufen auf das Fahrzeug gesprungen, mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geknallt und dann seitlich am Fahrzeug heruntergerutscht, wodurch es zu dem mit der Klage geltend gemachten Schaden i.H.v. 5.441,56 EUR gekommen sei.
Der Kläger zu 2. hat behauptet:
Das Rind habe in der Dunkelheit auf der Fahrbahn gestanden. Deshalb habe die vor ihm fahrende Zeugin R ihr Fahrzeug plötzlich abgebremst und sei dem Rind ausgewichen, indem sie nach rechts in den Graben gefahren sei. Er habe sein Fahrzeug anhalten können, das Rind sei dann aber in seinen Wagen hineingelaufen, wobei es zu dem mit der Klage geltend gemachten Schaden i.H.v. 5.153,52 EUR gekommen sei (der Kläger zu 2. macht 80 % seines Schadens geltend).
Das LG hat die Klagen abgewiesen:
Der Beklagte habe den Entlastungsbeweis nach § 833 Satz 2 BGB geführt; die Beweisaufnahme habe mit der Vernehmung der Ehefrau des Bek...