Entscheidungsstichwort (Thema)

Langzeitmessungen für Lärmimmissionen von Windenergieanlagen sind nicht zu beanstanden, wenn innerhalb eines Messzeitraums von zwei Monaten seltenere Windrichtungen und Windstärken tatsächlich nicht gemessen werden konnten, vom Sachverständigen aber aufgrund von anderen geeigneten Daten geschätzt werden können.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nachbarn einer Windenergieanlage, deren privatrechtlicher grundstücksbezogener Abwehranspruch aus §§ 1004, 906 Abs. 1 BGB aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung gemäß § 14 Abs. 1 BImSchG ausgeschlossen ist, haben auch keinen Anspruch auf Vornahme bestimmter Maßnahmen zur Verhinderung von Beeinträchtigungen, wenn sie nur unwesentlich i. S. d. § 906 Abs. 1 S. 1, 2 BGB sind, weil die jeweils einschlägigen Grenz- bzw. Richtwerte eingehalten werden. ≫2. Im Rahmen der Messung von Lärmimmissionen, die von einer Windenergieanlage ausgehen, ist es nicht zu beanstanden, wenn einzelne, seltener auftretende Windrichtungen und Windstärken in einem angemessenen Messzeitraum von rund zwei Monaten nicht konkret erhoben wurden, der Sachverständige aber aufgrund der tatsächlich erhobenen Messdaten und durchschnittlicher Wetterdaten geeignete Rückschlüsse auf die Lärmimmissionen insgesamt ziehen kann. ≫3. Im Rahmen der Messung von Lärmimmissionen, die von einer Windenergieanlage ausgehen, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Sachverständige einen Messpunkt außerhalb des Grundstücks oder des Hauses der beweispflichtigen Partei wählt, nachdem die Partei den Zutritt zu ihrem Grundstück und Haus verweigert hat und der Rechtsvertreter der Partei sich mit dem Sachverständigen auf den alternativen Messpunkt verständigt hat.

 

Normenkette

BGB § 906 Abs. 1, § 1004 Abs. 1-2; ZPO § 85 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Itzehoe (Urteil vom 17.04.2023; Aktenzeichen 2 O 336/12)

 

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das am 17.04.2023 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe, Az. 2 O 336/12, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil des Landgerichts Itzehoe ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Windenergieanlage (WEA).

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem von ihnen bewohnten Einfamilienhaus bebauten Grundstücks unter der Anschrift XXX in XXX. Das Grundstück liegt bauplanungsrechtlich im Außenbereich bzw. in einem Dorf-/Mischgebiet i. S. d. TA Lärm. Südlich des klägerischen Grundstücks befindet sich der "Windpark Y", bestehend aus 10 WEA des Typs Vestas V 80 mit jeweils 1 MW Leistung. Nördlich befindet sich der "Windpark Z", bestehend aus drei WEA des Typs Vestas mit jeweils 3 MW Leistung. Die WEA dieser Windparks sind nicht streitgegenständlich.

Die Kläger wenden sich in insgesamt (noch) sechs Verfahren gegen die Betreiber von WEA, die im nord-östlich ihres Grundstücks gelegenen "Windpark X" zusammen sieben WEA des Typs REpower 3.XM104 - Leistung je 3,4 MW, Nabenhöhe 80 m, Rotordurchmesser 104 m, Gesamthöhe 132 m - betreiben. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Anlagen:

WEA Nr.

Beklagte

Abstand

Az. LG

Az. OLG alt

Az. OLG neu

1

1.800 m

2 O 336/12

7 U 140/18

7 U 77/23

2

1.490 m

2 O 209/12

7 U 18/19

7 U 80/23

3

1.096 m

2 O 375/14

7 U 145/18

7 U 84/23

4

1.568 m

2 O 197/12

7 U 141/18

7 U 81/23

5

873 m

2 O 73/13

-

11 U 64/23

6

1.206 m

2 O 193/14

-

7 U 76/23

7

1.598 m

2 O 194/14

7 U 19/19

7 U 79/23

Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um die von der Beklagten betriebene "WEA 1" gemäß Lageplan Anlage 1 zur Klageschrift, Bl. 6 d. A., die in einer Entfernung von ca. 1.800 m zum Grundstück der Kläger steht.

Im Jahr 2020 ist der Windpark X mit einer sog. BNK (bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung) nachgerüstet worden, die automatisch über ein entsprechendes Radarsystem gesteuert wird.

Die WEA ist bestandskräftig genehmigt; der von den Klägern beschrittene Verwaltungsrechtsweg blieb erfolglos.

Die Kläger haben behauptet, durch die WEA in der Benutzung ihres Grundstücks erheblich beeinträchtigt zu sein. Sie haben im einzelnen Beeinträchtigungen durch Lärm, Infraschall, elektromagnetische Strahlung, Lichtemissionen, Schattenwurf, Disco-Effekt und Eiswurf sowie eine insgesamt bedrückende Wirkung der Anlage vorgebracht. Sie haben behauptet, hierdurch in ihrer persönlichen Lebensführung und ihrer Gesundheit erheblich beeinträchtigt zu sein. Zudem sei der Marktwert ihres Grundstücks aufgrund der WEA erheblich gesunken.

Die Kläger haben im ersten Rechtszug beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, eine Windenergieanlage der Marke REpow...

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