Verfahrensgang
LG Kiel (Aktenzeichen 14 HKO 44/19) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Kiel - Kammer für Handelssachen I - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung des Unterlassungsgebots gemäß Ziff. I des angefochtenen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 60.000 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet. Sie kann die Vollstreckung zur Verurteilung zur Zahlung (Ziff. II des angefochtenen Urteils) und wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Beklagte bewirbt unter dem Namen A. L-Lysin von ihr hergestellte Tabletten, die sie auf ihrer Internet-Seite als
"Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zum Diätmanagement bei wiederkehrenden Herpes Simplex Infektionen"
beschreibt. Auf den als Anlage K 3 eingereichten Screenshot wird verwiesen.
Der Kläger, ein Wettbewerbsverband, hält dies für unzulässig. Ein Produkt dürfte nach dem sog. engen Ernährungsbegriff nur dann als Mittel zu diätetischen Zwecken beworben werden, wenn es ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit ausgleiche. Herpes führe jedoch nicht zu einem Nährstoffdefizit. Die angebliche Wirkung von L-Lysin beruhe vielmehr auf der Annahme, dass ein erhöhter Lysinspiegel die Vermehrung von Herpesviren reduziere und so mit der Einnahme des Mittels die Häufigkeit und Schwere des Herpesausbruchs minimiert werden könne. Bei dieser Wirkweise dürfe es allenfalls nach dem sog. weiten Ernährungsbegriff als diätetisches Lebensmittel bezeichnet werden. Nach dem weiten Ernährungsbegriff liege ein medizinisch bedingter Nährstoffbedarf nicht nur beim Ausgleich eines Nährstoffdefizits vor, sondern auch dann, wenn auf andere Weise durch die Nährstoffzufuhr ernährungsbedingten Erkrankungen entgegen gewirkt werde, indem eine von den Nährstoffen ausgehende Wirkung erzielt werde. Diesen weiten Ernährungsbegriff habe der BGH während der Geltungszeit der EU-Richtlinie 2009/39 /EG (Diätrahmenrichtlinie) bei der Auslegung der nationalen Diätverordnung, die in § 1 Abs. 4a eine Begriffsbestimmung enthält, vertreten. Der Kläger hält diese Auslegung des Ernährungsbegriffs schon nach der bisherigen Rechtslage für falsch, jedenfalls aber meint er, dass sie seit Inkrafttreten der Verordnung EU Nr. 609/2013 nebst der auf ihr beruhenden delegierten Verordnung EU 2016/128 nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Doch selbst wenn dem weiten Ernährungsbegriff gefolgt werden solle, wäre die Werbung unzulässig, weil die Wirksamkeit des Mittels nicht ausreichend belegt sei.
Der Kläger begehrt die Unterlassung der in der Anlage K 3 wiedergegebenen Angabe.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Sie hält die Bezeichnung des Produkts als diätetisches Lebensmittel für zulässig und seine Wirksamkeit für belegt.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des näheren Parteivortrags und der im ersten Rechtszug zuletzt gestellten Anträge verwiesen wird, hat der Klage stattgegeben. Es ist der Auffassung gefolgt, dass es sich nach dem übereinstimmenden und eindeutigen Wortlaut der Verordnungen EU 609/2019 und 2016/128 bei den besonderen Lebensmitteln für bestimmte medizinische Zwecke um Lebensmittel handele, die einen Nährstoffmangel von Patienten anlässlich einer Erkrankung ausgleichen sollen. Der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vertretene sog. weite Ernährungsbegriff sei nach der alten Rechtslage zu der seinerzeit maßgeblichen Diätverordnung ergangen. Diese Rechtsprechung könne auf die Auslegung der jetzigen Verordnungen nicht übertragen werden. Deren Auslegung ergebe, dass die vom BGH zu der damaligen Rechtslage angenommene Zweckbestimmung der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke in den Verordnungen EU 609/2013 und 2016/128 nicht enthalten sei, weil deren Wortlaut maßgeblich von dem der Diätverordnung abweiche. Hätte der europäische Verordnungsgeber den vom BGH für das deutsche Recht zugrunde gelegten weiten Ernährungsbegriff in das jetzige europäische Recht übernehmen wollen, hätte es nahe gelegen, dies durch einen entsprechenden Wortlaut deutlich zu machen. Tatsächlich sei das Gegenteil der Fall. Dabei sei es dem europäischen Verordnungsgeber gerade darum gegangen, unterschiedliche nationale Auslegungen der Definition von Lebensmitteln, die für eine besondere Ernährung bestimmt seien, zu verhindern.
Unstreitig glichen die von der Beklagten vertriebenen Produkte keinen im Zusammenhang mit einer wiederkehrenden Herpes Simplex Infektion auftretenden Nährstoffmangel der Betroffenen aus. Folglich handele es sich bei den Produkten nicht um diätetische Lebensmittel, die deshalb auch nicht unter dieser Bezeichnung in den Verkehr gebracht wer...