Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Geschädigten auf Naturalrestitution unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots
Leitsatz (amtlich)
Der Eigentümer einer Lichtwellenleitung kann bei der Beschädigung eines Teilstücks Anspruch auf Ersatz der Kosten für den Austausch eines längeren Teils der Leitung zwischen zwei bestehenden Muffenverbindungen haben, auch wenn das mit hohen Kosten verbunden ist und die Leitung nach Austausch nur des beschädigten Teilstücks mit zwei neuen Muffenverbindungen technisch funktioniert.
Normenkette
BGB § 249 Abs. 1
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13.03.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck teilweise geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über den zugesprochenen Betrag hinaus weitere 20.341,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 21.902,60 EUR seit dem 15.06.2016 bis zum 06.07.2017 und auf 20.341,75 EUR seit dem 07.07.2020 sowie 984,60 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.
Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts, soweit es von der Beklagten angegriffen worden ist, sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen der Beschädigung einer Lichtwellenleitung.
Die Klägerin betreibt eine Lichtwellenleitung zur Datenübermittlung zwischen dem Umspannwerk X und dem Kernkraftwerk Y. Die Leitung hat eine Gesamtlänge von 28.225 Metern. Ursprünglich waren neun Muffen im Abstand von jeweils ca. 4.000 Metern vorhanden.
Am 20.03.2014 beschädigten Mitarbeiter der Beklagten bei Erdarbeiten in Z die Leitung. Es wurden vier bis sechs Meter herausgerissen. Am 21.03.2014 ließ die Klägerin etwa 87 Meter Kabel ersetzen, die mit zwei Muffen mit dem bisherigen Kabel verbunden wurden. Sie machte dafür mit Rechnung vom 16.12.2014 (Anlage B 1, AB) 4.575,34 EUR geltend, die von der Haftpflichtversicherung der Beklagten gezahlt wurden.
Nachdem die Klägerin hinreichende Mengen Lichtwellenleiter beschafft und sich mit ihren Kunden abgestimmt hatte, ließ sie im Februar 2016 2.525 Meter Lichtwellenleiter austauschen. Das betraf die Strecke zwischen einer am 21.03.2014 im Bereich der Beschädigung gesetzten Muffe und einer Bestandsmuffe. Eine der am 21.03.2014 geschaffenen Muffenverbindungen ließ die Klägerin bestehen, weil diese in der Nähe eines Autohauses lag, das sie als Kundin zu gewinnen hoffte. Hier ließ sie lediglich die Muffe austauschen, um die Möglichkeit einer Abzweigung zu schaffen. Gleichzeitig mit den Arbeiten im von der Beklagten beschädigten Abschnitt ließ die Klägerin in zwei anderen Abschnitten, in denen das Kabel am 29.07.2014 und 28.11.2014 beschädigt worden war, Lichtwellenleiter austauschen und legte die Verbindung im Bereich einer neu gebauten Brücke um.
Für die Arbeiten wurden der Klägerin 19.000,00 EUR netto in Rechnung gestellt, für das Kabel zahlte sie 2.902,60 EUR netto (Anlagen K 1 - K 3, AB).
Die Klägerin hat behauptet, bei der Reparatur vom 21.03.2014 habe es sich nur um eine Notreparatur gehandelt. Es habe seinerzeit den Regeln der Technik entsprochen, die Regelbaulänge zwischen zwei bestehenden Muffen auszutauschen. Jede Muffe sei eine mögliche Fehlerquelle und verschlechtere das Dämpfungsbudget der Gesamtstrecke.
Die Klägerin hat die Zahlung von 21.902,60 EUR nebst Zinsen und Kosten begehrt. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der näheren Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat nach der Einholung eines Sachverständigengutachtens die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 1.560,85 EUR nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach § 249 BGB würden die Kosten erstattet, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens angemessen und zweckmäßig seien. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Reparatur im Februar 2016 zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Lichtwellenleiterkabels aus technischer Sicht nicht erforderlich gewesen. Zwar werde das Signal durch jede Muffe gedämpft, aber nur um 0,03 dB, was sich auf die Gesamtlänge so gut wie nicht auswirke. Die Leitung habe mit den im Jahr 2014 gesetzten Muffen ganz normal funktioniert. Nur für den möglichen Anschluss des Autohauses sei eine andere Muffe notwendig gewesen. Zwar sei jede Muffe eine mögliche Fehlerquelle, aber die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls sei gering.
Es könne dahinstehen, ob es sich bei der Norm VDE-AR-E-2888-1 aus dem August 2012 ...