Entscheidungsstichwort (Thema)
Beachtliche Rügen bei Berufung gegen 2. Versäumnisurteil
Leitsatz (amtlich)
1. Die Berufung kann im Fall des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch darauf gestützt werden, dass das LG wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit das 2. Versäumnisurteil nicht hätte erlassen dürfen. § 513 Abs. 2 ZPO steht mangels Sacharbeit des erstinstanzlichen Gerichtes nach Sinn und Zweck dieser Norm nicht entgegen.
2. Ein Verstoß der Vorinstanz gegen § 700 Abs. 4 S. 2 ZPO ist im Berufungsverfahren auch ohne Rüge in der Berufungsbegründung zu berücksichtigen.
Normenkette
ZPO § 513 Abs. 2, § 514 Abs. 2, § 700 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Kiel (Urteil vom 11.08.2006; Aktenzeichen 15 O 78/06) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.8.2006 zugestellte Versäumnisurteil des LG Kiel - Kammer für Handelssachen II - aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das LG Kiel - Kammer für Handelssachen II - zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG vorbehalten.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 ZPO ist das angegriffene Versäumnisurteil aufzuheben und die Sache an das LG zurückzuverweisen.
I. Auf den Antrag der Klägerin hat das AG Euskirchen am 15.5.2006 einen Mahnbescheid über 699,90 EUR, Kosten i.H.v. 139,50 EUR und Zinsen von 8 % über dem jeweiligen Basiszinssatz erlassen. Auf den weiteren Antrag ist am 8.6.2006 ein entsprechender Vollstreckungsbescheid ergangen.
Die Beklagte hat am 26.6.2006 beim Mahngericht eingehend Widerspruch eingelegt.
Nach antragsgemäßer Abgabe der Sache an das LG Kiel - Kammer für Handelssachen - ist dort nach Eingang der Anspruchsbegründung der Klägerin vom 17.7.2006 das schriftliche Vorverfahren gem. § 276 ZPO angeordnet worden.
Die Anspruchsbegründung und die Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens sind der Beklagten am 24.7.2007 zugestellt worden. Das angegriffene Versäumnisurteil, durch das der Vollstreckungsbescheid des AG Euskirchen aufrechterhalten bleibt, ist der Beklagten am 11.8.2006 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen zunächst Einspruch eingelegt und diesen in der Folgezeit zurückgenommen.
Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, sie treffe kein Fall der Säumnis, zudem stehe der Klägerin kein Zahlungsanspruch ihr gegenüber zu. Es sei ihr, der Beklagten, kein wettbewerbsrechtlicher Vorwurf zu machen.
Die Beklagte beantragt, das zweite Versäumnisurteil des LG aufzuheben und den Rechtsstreit zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Meinung, die Beklagte sei im ersten Rechtszug säumig gewesen. Ferner stehe ihr der geltend gemachte Zahlungsanspruch zu.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterliegt ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Ein Fall der schuldhaften Versäumung liegt nach der Rechtsprechung des BGH bei einer Berufung gegen ein nach Erlass eines Vollstreckungsbescheids ergangenes zweites Versäumnisurteil dann nicht vor, wenn das zweite Versäumnisurteil - aus welchen Gründen auch immer - nicht (oder nicht so) ergehen durfte (vgl. BGH v. 25.10.1990 - IX ZR 62/90, BGHZ 112, 367, 372 ff. = MDR 1991, 146; BGH v. 6.5.1999 - V ZB 1/99, BGHZ 141, 351, 353 = MDR 1999, 1017; BGHZ 73, 87, 90 f.; OLG Celle, OLR-Report Celle 1995, 299; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 514 Rz. 8a; Musielack/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 514 Rz. 10). Dies beruht auf der Vorstellung einer Parallelität von Prüfungspflicht des Einspruchsrichters und Berufungsmöglichkeit (vgl. BGH v. 25.10.1990 - IX ZR 62/90, BGHZ 112, 367, 372 = MDR 1991, 146). Das am 11.8.2006 zugestellte zweite Versäumnisurteil hätte wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit des LG und damit wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung nicht ergehen dürfen.
§ 513 Abs. 2 ZPO steht demnach der bezeichneten Rechtsprechung und auch bereits nach seinem Wortlaut nicht entgegen. Die Vorschrift bestimmt, dass die Berufung nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Die Beklagte stützt ihre Berufung nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO aber nicht darauf, dass das LG seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, sondern neben Angriffen in der Sache darauf, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe, weil das zweite Versäumnisurteil mangels einer Sachentscheidungsvoraussetzung nicht hätte ergehen dürfen.
§ 513 Abs. 2 ZPO will verhindern, dass die Sacharbeit eines erstinstanzlichen Gerichts nur deshalb hinfällig wird, weil das Gericht lediglich örtlich nicht zuständig war (vgl. OLG C...