Peter Fölsch, Dipl.-Rpfl. Joachim Volpert
Rz. 56
In einem grundlegenden Beschl. v. 12.1.2009 hat das BVerfG ausgesprochen, dass eine Gegenvorstellung weder aus verfassungsrechtlichen Gründen als generell unzulässig anzusehen ist, noch dass eine offensichtliche Unzulässigkeit aus der Rechtsprechung der Fachgerichte auf der Grundlage des einfachen Rechts folgt. Das BVerfG stellt insbesondere klar, dass sich aus den Erwägungen des Plenums des BVerfG in seinem Beschl. v. 30.4.2003 nicht herleiten lässt, dass eine Gegenvorstellung gegen gerichtliche Entscheidungen von Verfassungs wegen unzulässig sei. Das Gebot der Rechtsmittelklarheit schließe lediglich aus, dass mit rechtsstaatlichen Defiziten behaftete außerordentliche Rechtsbehelfe (nämlich: fehlende gesetzliche Regelung) es ausschließen würden, ihre vorherige erfolglose Einlegung zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zu machen.
Des Weiteren stellt das BVerfG in rechtstatsächlicher Hinsicht fest, dass die Rechtsprechung zur einfachrechtlichen Zulässigkeit der Gegenvorstellung zwischen den Bundesgerichten und auch innerhalb dieser Gerichte uneinheitlich ist, so dass die Gegenvorstellung jedenfalls nicht als offensichtlich unzulässig angesehen werden kann. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass für das BVerfG die Gegenvorstellung keine Voraussetzung für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde ist, weder für die Zulässigkeitsvoraussetzung der Erschöpfung des Rechtswegs noch für die Zulässigkeitsvoraussetzung des Subsidiaritätsgrundsatzes.
Rz. 57
Die Entscheidung des BVerfG besagt aber noch nicht, ob die Gegenvorstellung einfachrechtlich statthaft und zulässig ist. Die eine Gegenvorstellung als außerordentlichen Rechtsbehelf bejahende Rechtsprechung nimmt eine Statthaftigkeit in der Regel nur dann an, wenn die Verletzung grundlegender Verfahrensrechte oder eine willkürliche Behandlung materiell-rechtlicher Vorschriften geltend gemacht wird. Teilweise wird im Bereich des RVG die Gegenvorstellung als zulässiger formloser Rechtsbehelf angesehen, damit das zur Entscheidung berufene Gericht seine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht anfechtbare Entscheidung neu überdenkt. Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit ist eine Gegenvorstellung dagegen nicht statthaft, wenn die einfachrechtliche Verletzung materiellen Rechts behauptet wird. Für die Zulässigkeit der Gegenvorstellung lassen sich die Vorschriften über die Anhörungsrüge analog heranziehen.
Rz. 58
Bei einer sachlichen Entscheidung über die Gegenvorstellung ist das Gericht nach Auffassung des BVerfG nicht davon befreit, Bindungen an seine eigenen Entscheidungen (z.B. § 318 ZPO) ohne gegenläufige gesetzliche Grundlage zu übergehen. Dies gilt insbesondere für Entscheidungen, die ungeachtet etwaiger Rechtsfehler in materielle Rechtskraft erwachsen.
In RVG-Verfahren besteht eine Bindung des Gerichts an seine eigenen Entscheidungen nicht. Auch erwachsen die Entscheidungen nicht in materielle Rechtskraft. Sie sind deshalb auf eine Gegenvorstellung hin abänderbar, wenn die weiteren Zulässigkeits- und Begründetheitsvoraussetzungen für eine Gegenvorstellung vorliegen.
Rz. 59
Es sollte nicht verkannt werden, dass der Gegenvorstellung die Bedeutung eines Befriedungsfaktors für die Rechtspflege zukommen kann. Qualitätsverbesserungen lassen sich insbesondere durch offene Fehleranalyse gewinnen. Das gilt auch für die Justiz. Jedenfalls die Gegenvorstellung bietet insoweit eine geeignete Plattform, wenn es darum geht, so genannte "Ausreißer" direkt und möglichst kostenneutral aktenkundig zu machen, um eine Korrektur zu erreichen oder doch zumindest eine Wiederholung zu vermeiden.