Peter Fölsch, Dipl.-Rpfl. Joachim Volpert
Gesetzestext
(1) Auf die Rüge eines durch die Entscheidung nach diesem Gesetz beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
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ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und |
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das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. |
(2) 1Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. 2Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntmachung der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. 3Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. 4Die Rüge ist bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird; § 33 Abs. 7 Satz 1 und 2 gilt entsprechend. 5Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) 1Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. 2Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. 3Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. 4Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. 5Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist.
(6) Kosten werden nicht erstattet.
A. Allgemeines
Rz. 1
Seit dem 1.1.2005 gilt das Anhörungsrügengesetz. Wesentlicher Bestandteil des Gesetzes ist die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Anhörungsrüge (bisher: "Gehörsrüge") nach § 321a ZPO innerhalb des Zivilverfahrens und die Einführung der Anhörungsrüge als außerordentlichem Rechtsbehelf in anderen Verfahrensordnungen. So wurde auch mit § 12a eine entsprechende Vorschrift für die die Rechtsanwaltsvergütung betreffenden RVG-Verfahren eingeführt. Hintergrund des Anhörungsrügengesetzes ist eine Entscheidung des BVerfG vom 30.4.2003, wonach es gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG verstoße, wenn eine Verfahrensordnung keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall vorsieht, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch fordere eine zumindest einmalige gerichtliche Kontrolle für die Einhaltung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Rz. 2
Die Anhörungsrüge ist ein eigenständiger, wiedereinsetzungs- und wiederaufnahmeähnlich ausgestalteter Rechtsbehelf zur Geltendmachung von Gehörsverletzungen gegenüber dem Ausgangsgericht. Als außerordentlicher Rechtsbehelf ist die Anhörungsrüge typisiert mit dem Ziel einer weitest gehenden Vereinheitlichung. Das ermöglicht dem Rechtsanwender, bei Zweifelsfällen hilfsweise auf die Praxis in anderen Verfahrensordnungen zugreifen zu können. Insbesondere zu § 321a ZPO bestehen eine umfangreiche Literatur, Rechtsprechung und Kommentierung.
Rz. 3
Der Gesetzgeber hat nur die spezielle Fallgestaltung der entscheidungserheblichen Verletzung rechtlichen Gehörs als regelungsbedürftig angesehen. Damit ist der Problembereich aber nur teilweise kodifiziert. Offen und umstritten bleibt, wie zu verfahren ist, wenn unanfechtbare Entscheidungen gegen andere Verfahrensgrundrechte verstoßen, willkürlich oder sonst wie gravierend falsch sind, ohne dass mit diesen Verstößen gleichzeitig eine Gehörsverletzung verbunden ist (siehe Rdn 53 ff.).
B. Regelungsgehalt
I. Statthaftigkeit und Zulässigkeit
Rz. 4
§ 12a Abs. 1 Nr. 1 bestimmt die Statthaftigkeit der Anhörungsrüge. § 12a Abs. 2 regelt Form, Inhalt, Frist und Adressat der Anhörungsrüge.
1. Unanfechtbarkeit der Entscheidung (Abs. 1 Nr. 1)
Rz. 5
Der Anwendungsbereich der Anhörungsrüge erfasst Beschlüsse in jeder Instanz. Die Vorschrift eröffnet damit den Gerichten im Falle der gerügten entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) die Möglichkeit der Selbstkorrektur bei unanfechtbaren Beschlüssen.
Rz. 6
In § 12a ist allerdings keine ausdrückliche, dem § 321a Abs. 1 S. 2 ZPO vergleichbare Regelung enthalten. § 321a Abs. 1 S. 2 ZPO regelt, dass die Anhörungsrüge gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung nicht stattfindet.
Soweit die entsprechende Anwendung einer solchen Regelung für die Anhörungsrüge nach § 12a erwogen wird, muss gleichzeitig die verfassungskonforme Auslegung dieser Regelung beachtet werden. Denn die Unstatthaftigkeit der Anhörungsrüge ist dann auf solche Zwischenentscheidungen zu begrenzen, die im Hinblick auf mögliche Gehörsverletzungen im weiteren ...