Rz. 32
Beim ersten Kriterium des Abs. 1 ist im Wesentlichen der mit der Ausführung des Mandats verbundene zeitliche Aufwand zu berücksichtigen. Abzustellen ist auf die tatsächlich erbrachte, nicht auf die vertraglich geschuldete Tätigkeit des Anwalts. Relevant sind dabei nicht nur die effektiven Bearbeitungszeiträume für die Aktenbearbeitung, die Wahrnehmung von außergerichtlichen oder gerichtlichen Terminen, Gespräche mit dem Mandanten etc. Vielmehr ist auch der unproduktive Zeitaufwand des Anwalts in die Bemessung einzustellen, etwa Reise- oder Wartezeiten sowie (Verhandlungs-)Pausen. Gleiches gilt für die Abwicklung der Sache, also für eventuelle Probleme bei der Abrechnung oder der Kostenfestsetzung oder der Bemühung, überhaupt erst einmal eine Kostenentscheidung zu erhalten. Von einem überdurchschnittlichen Zeitaufwand ist auszugehen, wenn die Mandatsbearbeitung insgesamt drei Stunden übersteigt.
Rz. 33
Insbesondere sind beim Umfang der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen:
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Aktenstudium und -umfang, Studium von Rechtsprechung und Literatur |
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die Kürze oder Länge der Ausführungen des Anwalts |
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die Dauer der Vorarbeiten, etwa die besondere Einarbeitung in entlegene Ordnungswidrigkeitentatbestände |
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die auswärtige Beweisaufnahme an der Unfallstelle |
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die Inaugenscheinnahme der Unfallstelle |
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die Dauer der Hauptverhandlung |
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die Dauer des Verfahrens |
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die Dauer von Vertragsverhandlungen |
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die Verweisung an ein anderes Gericht, ohne dass eine neue Angelegenheit beginnt (§ 20 S. 1) |
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die Anzahl der gehörten Zeugen |
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eine Tätigkeit gegenüber mehreren Gegnern, etwa Vertretung des Nebenklägers gegenüber mehreren Angeklagten |
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Wartezeiten vor Beginn der Hauptverhandlung |
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die Vorbereitung der Hauptverhandlung |
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die Vorbereitung des Plädoyers |
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Besprechungen mit dem Auftraggeber und die ihm gegenüber erbrachte Beratungsleistung |
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in Strafsachen insbesondere Zusatztätigkeiten, die zur Instanz zählen, also Beschwerdeverfahren, Beratung über ein einzulegendes Rechtsmittel oder die Einlegung des Rechtsmittels selbst |
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hoher Sachschaden oder sich lange hinziehende Regulierungsverhandlungen in Verkehrsunfallsachen |
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Auswertung von Sachverständigengutachten |
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besonderer Umfang des Kostenfestsetzungsverfahrens |
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besonderer Aufwand, um eine Kostenentscheidung zu erlangen |
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eine Widerklage nach § 388 StPO, die gemäß § 16 Nr. 12 keine zusätzlichen Gebühren auslöst |
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zusätzliche Dienstaufsichtsbeschwerden |
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zusätzliches Verfahren auf Zulassung eines Rechtsmittels (§ 16 Nr. 11) |
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schwierige Verjährungsfragen. |
Rz. 34
Mindernd soll zu berücksichtigen sein, wenn dem Verteidiger in der Rechtsmittelinstanz die Sache bereits aus der ersten Instanz bekannt ist und daher die Vorbereitung und Einarbeitung gegenüber einem erstmals beauftragten Verteidiger geringer ist. Diese Auffassung erscheint zweifelhaft und findet im Gesetz keine Stütze, zumal diese Fälle unter dem Regime des RVG durch die neu eingeführten Grundgebühren der VV 4100 und VV 5100 reguliert werden. Da im Normalfall der Verteidiger in der Berufungsinstanz derselbe ist, dürfte dieser Aspekt zudem bereits im Gebührenrahmen berücksichtigt sein. Sofern der Anwalt sich im Berufungs- oder Revisionsverfahren erstmals einarbeiten muss, rechtfertigt dies eine erhöhte Grundgebühr, führt aber nicht zur Herabsetzung der Verfahrens- oder Terminsgebühren. Ebensowenig kann es mindernd zu berücksichtigen sein, wenn schon die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert. Dieser Umstand dürfte im Gegenteil ein Indiz für die besondere Mühewaltung des Anwalts sein, der es geschafft hat, entlastende Momente vorzubringen, und dem es sogar gelungen ist, die Staatsanwaltschaft von der Unschuld des Mandanten zu überzeugen. Wenn die Unschuld offensichtlich war, hätte die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten nicht angeklagt (arg. § 170 Abs. 2 StPO).
Rz. 35
Die fehlende Einlassung im Einspruch gegen den Bußgeldbescheid rechtfertigen eine Minderung der Gebühren nach VV 5100, 5103 ebenso wenig, wie eine fehlende Einspruchsbegründung. Eine bloße Untätigkeitsklage im sozialrechtlichen Verfahren erreicht hingegen regelmäßig keinen durchschnittlichen Umfang. Insgesamt ist die Minderung einer Satzrahmengebühr über Abs. 1 nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig.