a) Überblick
Rz. 249
Der Anwaltsvertrag ist ein Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat (§§ 627, 675 BGB). Er ist daher jederzeit ohne Grund oder Einhaltung einer Frist von beiden Parteien kündbar. Die Rechtsfolgen einer vorzeitigen Kündigung sind in § 628 BGB geregelt, der wiederum durch Abs. 4 ergänzt wird. Zu unterscheiden ist danach, wer den Anwaltsvertrag gekündigt hat, sowie danach, ob die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten eines Teils veranlasst worden ist oder ob ein wichtiger Grund zur Kündigung vorlag.
b) Kündigung durch den Anwalt
aa) Vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers
Rz. 250
Kündigt der Anwalt wegen vertragswidrigen Verhaltens des Auftraggebers, so gilt § 628 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Vorschrift wird durch Abs. 4 ergänzt. Danach kann der Anwalt einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Insoweit ergibt sich aus Abs. 4, dass er sämtliche Gebühren, deren Tatbestände ausgelöst worden sind, in voller Höhe liquidieren kann.
Rz. 251
Soweit der Anwalt über die ihm zustehende Teilvergütung hinausgehende Vorschüsse erhalten hat, muss er diese nach § 628 Abs. 1 S. 3 i.V.m. §§ 812 ff. BGB herausgeben. Auf den Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB kann sich der Anwalt berufen. In der Praxis hat dies jedoch keine Bedeutung.
Rz. 252
Ein vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers liegt dann vor, wenn dieser schuldhaft das Vertrauensverhältnis zum Anwalt derart zerstört hat, dass dem Anwalt eine weitere Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Objektive Gegebenheiten können insoweit bereits ausreichen. Ein vertragswidriges Verhalten ist insbesondere dann gegeben, wenn:
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der Mandant einen angeforderten Vorschuss trotz Mahnung und Ankündigung der Mandatsniederlegung nicht zahlt; der bloße Verzug reicht dagegen noch nicht aus, dies ist lediglich ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB (vgl. Rdn 273 f.); |
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der Auftraggeber den Anwalt bewusst unrichtig und fehlerhaft unterrichtet; |
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der Auftraggeber unbegründete und unangemessene Vorwürfe gegen den Anwalt erhebt, insbesondere, wenn er unberechtigte Schadensersatzansprüche ankündigt; |
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der Auftraggeber unzumutbare Anforderungen stellt, etwa wenn er auf sachlich nicht notwendige Umformulierungen, Ergänzungen oder weitere Ausführungen in Schriftsätzen besteht; |
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der Mandant trotz gegenteiliger Belehrung auf seiner offensichtlich unbegründeten Rechtsposition besteht und darauf beharrt, dass der Anwalt versucht, diese Position durchzusetzen. |
Die Beweislast für das vertragswidrige Verhalten des Auftraggebers liegt beim Anwalt.
Rz. 253
Bei der Feststellung eines vertragswidrigen Verhaltens ist grundsätzlich Zurückhaltung geboten. Der Auftraggeber hat durchaus das Recht, auf die Gestaltung der anwaltlichen Schriftsätze Einfluss zu nehmen. Er hat auch das Recht darauf, dass seine unbegründete Rechtsposition vom Gericht festgestellt wird; er muss sich nicht auf die Aussage seines Anwalts verlassen. Daher ist ein vertragswidriges Verhalten nur in Ausnahmefällen anzunehmen, etwa wenn übertriebene Anforderungen an die Gestaltung der Schriftsätze gestellt werden oder wenn es für den Anwalt unzumutbar ist, unsinnige Rechtspositionen zu vertreten.
bb) Kündigung ohne vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers
Rz. 254
Kündigt der Anwalt, ohne durch ein vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers hierzu veranlasst worden zu sein, so richten sich die Rechtsfolgen nach § 628 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Anwalt aus wichtigem Grund gekündigt hat. § 628 Abs. 1 S. 1 BGB verweist auch auf die Kündigung nach § 626 BGB.
Rz. 255
Auch hier gilt zunächst der Grundsatz des § 628 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Abs. 4. Der Anwalt kann also seine Vergütung zunächst einmal insoweit verlangen, als sie bis zur Kündigung entstanden ist.
Rz. 256
Nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB verliert der Anwalt allerdings seinen Vergütungsanspruch, soweit die bisherige Tätigkeit für den Auftraggeber nicht mehr von Interesse ist. Insoweit bedarf es keiner Erklärung oder Aufrechnung durch den Auftraggeber. Bereits der Wegfall des Interesses führt zum Untergang der Gebührenforderung.
Rz. 257
Der Hauptanwendungsfall des Wegfalls der Gebühren ist dann gegeben, wenn der Auftraggeber einen zweiten Anwalt beauftragen und bezahlen muss. Soweit der zweite Anwalt zu vergüten ist, erlischt der Vergütungsanspruch des ersten Anwalts. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass der erste Anwalt überhaupt keine Vergütung mehr verlangen kann, weil sämtliche Gebühre...