aa) Vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers

 

Rz. 250

Kündigt der Anwalt wegen vertragswidrigen Verhaltens des Auftraggebers, so gilt § 628 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Vorschrift wird durch Abs. 4 ergänzt. Danach kann der Anwalt einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Insoweit ergibt sich aus Abs. 4, dass er sämtliche Gebühren, deren Tatbestände ausgelöst worden sind, in voller Höhe liquidieren kann.

 

Rz. 251

Soweit der Anwalt über die ihm zustehende Teilvergütung hinausgehende Vorschüsse erhalten hat, muss er diese nach § 628 Abs. 1 S. 3 i.V.m. §§ 812 ff. BGB herausgeben. Auf den Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB kann sich der Anwalt berufen. In der Praxis hat dies jedoch keine Bedeutung.

 

Rz. 252

Ein vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers liegt dann vor, wenn dieser schuldhaft das Vertrauensverhältnis zum Anwalt derart zerstört hat, dass dem Anwalt eine weitere Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann.[189] Ein Verschulden ist nicht erforderlich.[190] Objektive Gegebenheiten können insoweit bereits ausreichen.[191] Ein vertragswidriges Verhalten ist insbesondere dann gegeben, wenn:

der Mandant einen angeforderten Vorschuss trotz Mahnung und Ankündigung der Mandatsniederlegung nicht zahlt;[192] der bloße Verzug reicht dagegen noch nicht aus,[193] dies ist lediglich ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB (vgl. Rdn 273 f.);
der Auftraggeber den Anwalt bewusst unrichtig und fehlerhaft unterrichtet;[194]
der Auftraggeber unbegründete und unangemessene Vorwürfe gegen den Anwalt erhebt, insbesondere, wenn er unberechtigte Schadensersatzansprüche ankündigt;[195]
der Auftraggeber unzumutbare Anforderungen stellt, etwa wenn er auf sachlich nicht notwendige Umformulierungen, Ergänzungen oder weitere Ausführungen in Schriftsätzen besteht;[196]
der Mandant trotz gegenteiliger Belehrung auf seiner offensichtlich unbegründeten Rechtsposition besteht und darauf beharrt, dass der Anwalt versucht, diese Position durchzusetzen.[197]

Die Beweislast für das vertragswidrige Verhalten des Auftraggebers liegt beim Anwalt.[198]

 

Rz. 253

Bei der Feststellung eines vertragswidrigen Verhaltens ist grundsätzlich Zurückhaltung geboten. Der Auftraggeber hat durchaus das Recht, auf die Gestaltung der anwaltlichen Schriftsätze Einfluss zu nehmen. Er hat auch das Recht darauf, dass seine unbegründete Rechtsposition vom Gericht festgestellt wird;[199] er muss sich nicht auf die Aussage seines Anwalts verlassen. Daher ist ein vertragswidriges Verhalten nur in Ausnahmefällen anzunehmen, etwa wenn übertriebene Anforderungen an die Gestaltung der Schriftsätze gestellt werden oder wenn es für den Anwalt unzumutbar ist, unsinnige Rechtspositionen zu vertreten.

[189] Hansens, § 13 Rn 25.
[190] Papst, MDR 1974, 449.
[191] Papst, MDR 1974, 449.
[192] OLG Düsseldorf AGS 1993, 74 m. Anm. Madert; sofern der Vorschuss angemessen ist, siehe § 9 Rdn 45 ff. m. Nachw. zur Rspr. des BGH.
[193] Papst, MDR 1974, 449.
[194] OLG Düsseldorf AGS 1993, 74 m. Anm. Madert; Hansens, § 13 Rn 25.
[195] Madert, XV Rn 5.
[196] OLG Köln AnwBl 1972, 159; OLG Hamm AGS 1996, 16 m. Anm. Madert; Madert, XV Rn 5.
[197] LG Hamburg AnwBl 1985, 261; AG Köln AnwBl 1989, 624.
[198] OLG Düsseldorf AGS 1993, 74 m. Anm. Madert.
[199] Madert, XV Rn 5.

bb) Kündigung ohne vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers

 

Rz. 254

Kündigt der Anwalt, ohne durch ein vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers hierzu veranlasst worden zu sein, so richten sich die Rechtsfolgen nach § 628 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Anwalt aus wichtigem Grund gekündigt hat. § 628 Abs. 1 S. 1 BGB verweist auch auf die Kündigung nach § 626 BGB.

 

Rz. 255

Auch hier gilt zunächst der Grundsatz des § 628 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Abs. 4. Der Anwalt kann also seine Vergütung zunächst einmal insoweit verlangen, als sie bis zur Kündigung entstanden ist.

 

Rz. 256

Nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB verliert der Anwalt allerdings seinen Vergütungsanspruch, soweit die bisherige Tätigkeit für den Auftraggeber nicht mehr von Interesse ist. Insoweit bedarf es keiner Erklärung oder Aufrechnung durch den Auftraggeber. Bereits der Wegfall des Interesses führt zum Untergang der Gebührenforderung.[200]

 

Rz. 257

Der Hauptanwendungsfall des Wegfalls der Gebühren ist dann gegeben, wenn der Auftraggeber einen zweiten Anwalt beauftragen und bezahlen muss. Soweit der zweite Anwalt zu vergüten ist, erlischt der Vergütungsanspruch des ersten Anwalts. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass der erste Anwalt überhaupt keine Vergütung mehr verlangen kann, weil sämtliche Gebühren und Auslagentatbestände, die beim ersten Anwalt entstanden sind, beim zweiten Anwalt in gleicher Höhe erneut ausgelöst werden.

 

Beispiel: In einem Rechtsstreit hatte der Anwalt das Mandat nach mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme am 21.6.2004 gekündigt. Der Auftraggeber beauftragte am 24.6.2004 einen neuen Anwalt. Nach nochmaliger Verhandlung erging ein Urteil.

Bei dem zweiten Anwalt sind sämtliche Gebühren erneut entstanden. Der Anspruch des ersten Anwalts entfällt daher gemäß § 628 Abs. 1 S. 2 BGB. Auch die Postentgeltpau...

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