Rz. 254
Kündigt der Anwalt, ohne durch ein vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers hierzu veranlasst worden zu sein, so richten sich die Rechtsfolgen nach § 628 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Anwalt aus wichtigem Grund gekündigt hat. § 628 Abs. 1 S. 1 BGB verweist auch auf die Kündigung nach § 626 BGB.
Rz. 255
Auch hier gilt zunächst der Grundsatz des § 628 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Abs. 4. Der Anwalt kann also seine Vergütung zunächst einmal insoweit verlangen, als sie bis zur Kündigung entstanden ist.
Rz. 256
Nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB verliert der Anwalt allerdings seinen Vergütungsanspruch, soweit die bisherige Tätigkeit für den Auftraggeber nicht mehr von Interesse ist. Insoweit bedarf es keiner Erklärung oder Aufrechnung durch den Auftraggeber. Bereits der Wegfall des Interesses führt zum Untergang der Gebührenforderung.
Rz. 257
Der Hauptanwendungsfall des Wegfalls der Gebühren ist dann gegeben, wenn der Auftraggeber einen zweiten Anwalt beauftragen und bezahlen muss. Soweit der zweite Anwalt zu vergüten ist, erlischt der Vergütungsanspruch des ersten Anwalts. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass der erste Anwalt überhaupt keine Vergütung mehr verlangen kann, weil sämtliche Gebühren und Auslagentatbestände, die beim ersten Anwalt entstanden sind, beim zweiten Anwalt in gleicher Höhe erneut ausgelöst werden.
Beispiel: In einem Rechtsstreit hatte der Anwalt das Mandat nach mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme am 21.6.2004 gekündigt. Der Auftraggeber beauftragte am 24.6.2004 einen neuen Anwalt. Nach nochmaliger Verhandlung erging ein Urteil.
Bei dem zweiten Anwalt sind sämtliche Gebühren erneut entstanden. Der Anspruch des ersten Anwalts entfällt daher gemäß § 628 Abs. 1 S. 2 BGB. Auch die Postentgeltpauschale nach VV 7002 kann der erste Anwalt nicht verlangen, da diese ebenfalls erneut entsteht.
Abwandlung: Der Auftraggeber hat den neuen Anwalt am 6.7.2004 beauftragt.
Auch hier sind beim zweiten Anwalt sämtliche Gebühren erneut angefallen. Die Gebühren berechnen sich jetzt jedoch nach RVG und liegen mit insgesamt 2,5 unter den Gebühren des ersten Anwalts (30/10). Der Anspruch des ersten Anwalts bleibt daher in Höhe der Differenz (einer 5/10- oder 0,5-Gebühr zuzüglich 19 % Umsatzsteuer) bestehen.
Rz. 258
Denkbar ist aber auch, dass beim zweiten Anwalt nicht alle Gebühren erneut anfallen, so dass der erste Anwalt einen Teil seiner Vergütung behält. Solche Fälle treten insbesondere dann auf, wenn Gebührentatbestände, die beim ersten Anwalt bereits entstanden sind, nicht mehr erneut ausgelöst werden.
Beispiel: Nach mündlicher Verhandlung kündigt der Anwalt. Der Auftraggeber beauftragt einen neuen Anwalt. Ohne erneuten Termin i.S.d. VV Vorb. 3 Abs. 3 ergeht das Urteil.
Bei dem zweiten Anwalt ist nur die Verfahrensgebühr erneut entstanden. Die Terminsgebühr verbleibt daher dem ersten Anwalt.
Rz. 259
Auch bei einer Änderung des Gegenstandswerts kann dem Anwalt eine Teilvergütung verbleiben.
Beispiel: Der Anwalt ist vom Beklagten mit der Abwehr einer Klage in Höhe von 20.000 EUR beauftragt worden. Der Kläger nimmt die Klage in Höhe von 10.000 EUR zurück. Hiernach kündigt der Anwalt des Beklagten das Mandat. Der Auftraggeber beauftragt nunmehr einen anderen Anwalt.
Die Differenz aus der Verfahrensgebühr nach 20.000 EUR und 10.000 EUR verbleibt dem ersten Anwalt.
Rz. 260
Bei Betrags- oder Satzrahmengebühren ist darauf abzustellen, welche Gebühren angefallen wären, wenn das gesamte Verfahren von dem ersten Anwalt durchgeführt worden wäre. Soweit die von dem zweiten Anwalt bestimmte Gebühr unter diesem Betrag bleibt, kann der erste Anwalt noch einen Differenzbetrag verlangen.
Beispiel: In einer Strafsache vor dem AG war der Verteidiger zunächst im vorbereitenden Verfahren tätig. Im gerichtlichen Verfahren war er außerhalb der Hauptverhandlung umfangreich tätig und hat mehrere Einlassungen und Stellungnahmen abgegeben, so dass eine um 20 % erhöhte Mittelgebühr angemessen ist. Drei Tage vor der Hauptverhandlung kündigt er das Mandat. Der Auftraggeber beauftragt einen neuen Verteidiger.
Dem zweiten Anwalt stehen eine Grundgebühr (VV 4100), eine Verfahrensgebühr nach VV 4106 sowie für die Teilnahme an der Hauptverhandlung eine Terminsgebühr (VV 4108) zu. Da der Anwalt erst unmittelbar vor der Hauptverhandlung beauftragt wurde, dürfte die Verfahrensgebühr nach VV 4106 unterdurchschnittlich anzusetzen sein, etwa 20 % unter der Mittelgebühr.
Dem ersten Verteidiger verbleiben daher neben der Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren (VV 4104), die der zweite Anwalt nicht verdient hat, weitere 40 % aus der Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens (VV 4106).
Rz. 261
Schaltet der Auftraggeber keinen neuen Anwalt ein, sondern führt er die Angelegenheit selbst zu Ende, soll nach h.M. der Anwalt seinen Vergütungsanspruch in voller Höhe behalten dürfen. Zutreffend dürfte es sein, dem Anwalt gemäß § 628 Abs. 1 S. 2 BGB die Vergütung insoweit zu kürzen, als der Auftraggeber durch die weit...