1. Überblick
a) Grundsatz
Rz. 241
Nach Abs. 4 ist es – soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt – ohne Einfluss, wenn sich die Angelegenheit vorzeitig erledigt oder der Auftrag endet, bevor die Angelegenheit erledigt ist. Diese Vorschrift zieht damit die Konsequenz aus dem Pauschalcharakter der Gebühren (Abs. 1, Abs. 2). Ebenso wie eine Gebühr mit der ersten Tätigkeit entsteht, entfällt sie nicht, wenn es nicht mehr zu weiteren Tätigkeiten kommt.
Rz. 242
Eine vorzeitige Erledigung der Angelegenheit liegt vor, wenn der Auftrag gegenstandslos wird, bevor der Anwalt ihn vollständig ausgeführt hat. Hierzu zählen die Fälle, dass der Gegner seine Klage oder sein Rechtsmittel zurücknimmt, die Parteien sich ohne Zutun der Anwälte einigen, der Gegner vor Klageerhebung erfüllt o.Ä.
Rz. 243
Der Auftrag endet, bevor die Angelegenheit erledigt ist, wenn das Mandat vorzeitig endet, bevor der Anwalt es vollständig erfüllt hat, also wenn der Anwaltsvertrag gekündigt, einvernehmlich aufgehoben wird oder Unmöglichkeit der Erfüllung eintritt.
b) Einschränkungen
Rz. 244
Erledigt sich oder endet der Auftrag vorzeitig, so erhält der Anwalt grundsätzlich sämtliche bis dahin verdienten Gebühren.
Rz. 245
Die Gebühren bleiben bei vorzeitiger Erledigung nach Abs. 4 zwar immer bestehen; dies betrifft jedoch nur den Gebührentatbestand als solchen. Die Vorschrift des Abs. 4 regelt dagegen nicht die Höhe der Gebühr. Die vorzeitige Beendigung kann daher für die Höhe der Gebühr im Einzelfall durchaus Bedeutung haben.
Rz. 246
Dies gilt zum einen insbesondere für Satz- oder Betragsrahmengebühren, deren Höhe nach § 14 Abs. 1 im Einzelfall zu bestimmen ist. Hier ist die vorzeitige Beendigung ein wesentliches Kriterium für die Höhe der Gebühr. Sie führt in der Regel zur Bestimmung einer geringeren Gebühr.
Rz. 247
Bei Wertgebühren kann die vorzeitige Beendigung für die Höhe von Bedeutung sein. In mehreren Fällen ordnet das Gesetz bei vorzeitiger Beendigung an, dass keine volle Gebühr anfällt, sondern nur ein Bruchteil, so in VV 3101 Nr. 1 für die Terminsgebühr, in VV 2201 für die Einvernehmensgebühr oder in VV 3405 für den Verkehrsanwalt.
Rz. 248
Darüber hinaus kann in den Fällen der §§ 23 Abs. 2 S. 1, 37 Abs. 2 S. 2 bei vorzeitiger Beendigung ein geringerer Gegenstandswert anzusetzen sein.
Zur Ermäßigung der Vergütung bei vorzeitiger Beendigung einer Vergütungsvereinbarung vgl. Rdn 281 ff.
2. Vorzeitige Beendigung infolge Kündigung des Anwaltsvertrages
a) Überblick
Rz. 249
Der Anwaltsvertrag ist ein Dienstvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat (§§ 627, 675 BGB). Er ist daher jederzeit ohne Grund oder Einhaltung einer Frist von beiden Parteien kündbar. Die Rechtsfolgen einer vorzeitigen Kündigung sind in § 628 BGB geregelt, der wiederum durch Abs. 4 ergänzt wird. Zu unterscheiden ist danach, wer den Anwaltsvertrag gekündigt hat, sowie danach, ob die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten eines Teils veranlasst worden ist oder ob ein wichtiger Grund zur Kündigung vorlag.
b) Kündigung durch den Anwalt
aa) Vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers
Rz. 250
Kündigt der Anwalt wegen vertragswidrigen Verhaltens des Auftraggebers, so gilt § 628 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Vorschrift wird durch Abs. 4 ergänzt. Danach kann der Anwalt einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Insoweit ergibt sich aus Abs. 4, dass er sämtliche Gebühren, deren Tatbestände ausgelöst worden sind, in voller Höhe liquidieren kann.
Rz. 251
Soweit der Anwalt über die ihm zustehende Teilvergütung hinausgehende Vorschüsse erhalten hat, muss er diese nach § 628 Abs. 1 S. 3 i.V.m. §§ 812 ff. BGB herausgeben. Auf den Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB kann sich der Anwalt berufen. In der Praxis hat dies jedoch keine Bedeutung.
Rz. 252
Ein vertragswidriges Verhalten des Auftraggebers liegt dann vor, wenn dieser schuldhaft das Vertrauensverhältnis zum Anwalt derart zerstört hat, dass dem Anwalt eine weitere Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Objektive Gegebenheiten können insoweit bereits ausreichen. Ein vertragswidriges Verhalten ist insbesondere dann gegeben, wenn:
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der Mandant einen angeforderten Vorschuss trotz Mahnung und Ankündigung der Mandatsniederlegung nicht zahlt; der bloße Verzug reicht dagegen noch nicht aus, dies ist lediglich ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB (vgl. Rdn 273 f.); |
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der Auftraggeber den Anwalt bewusst unrichtig und fehlerhaft unterrichtet; |
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der Auftraggeber unbegründete und unangemessene Vorwürfe gegen den Anwalt erhebt, insbesondere, wenn er unberechtigte Schadensersatzansprüche ankündigt; |
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der Auftraggeber unzumutbare Anforderungen stellt, etwa wenn er auf sachlich nicht notwendige Umformulierungen, Ergänzungen oder weitere Ausführungen in Schriftsätzen besteht; |
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der Mandant trotz gegenteiliger Belehrung auf seiner offensichtlich unbegründeten Rechtsposition besteht und darauf beharrt, dass der Anwalt versucht, diese Position durchzusetzen. |
Die Beweislast für das vertragswidrige Verhalten des Auftraggebers liegt beim Anwalt.
Rz. 253
Bei der Feststellung eines vertragswidrigen Verhaltens ist gru...