Rz. 1

In seiner Entscheidung vom 27.3.2007[1] hatte der BGH zu Recht klargestellt, dass die Geschäftsgebühr (VV 2300) im Rechtsstreit in voller Höhe geltend gemacht werden kann und dass eine Partei nicht darauf beschränkt ist, nur den anrechnungsfreien Teil der Geschäftsgebühr einzuklagen, wie es bis dato unverständlicherweise Praxis war. Der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch auf Ersatz einer Geschäftsgebühr ist ein eigener selbstständiger Schadensersatzanspruch. Ob die Geschäftsgebühr später ggf. anzurechnen ist oder nicht, ändert nichts daran, dass der Partei zunächst einmal der entsprechende Schaden in Höhe einer Geschäftsgebühr entstanden ist und dieser eingeklagt werden kann. Die Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr stellt sich erst im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren. Das gilt auch weiterhin. Der nachträglich eingefügte § 15a sollte daher nicht dazu veranlassen, in überwundene alte Zeiten zurückzufallen und nur den nicht anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr einzuklagen.[2]

 

Rz. 2

Wann und wie diese Anrechnung im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren vorzunehmen sei, konnte der BGH in seinen ersten Entscheidungen noch offen lassen. Erst in seiner späteren Entscheidung vom 22.1.2008[3] hatte er entschieden, dass die Anrechnung einer Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren stets zu beachten sei. Er war der Auffassung, dass sich aufgrund der Anrechnung der Geschäftsgebühr die Verfahrensgebühr der VV 3100 von vornherein um den anzurechnenden Betrag vermindere, sodass nur die verminderte Verfahrensgebühr zu den Kosten des Rechtsstreits gehöre und nicht die volle Verfahrensgebühr vor Anrechnung. Mithin, so der BGH damals, könne im Falle der vorgerichtlichen Tätigkeit des späteren Prozessbevollmächtigten im nachfolgenden Rechtsstreit nur noch die gekürzte Verfahrensgebühr festgesetzt werden. Dies sollte unabhängig davon gelten, ob die Geschäftsgebühr vom Gegner zu erstatten sei oder nicht. Damit hatte sich der BGH gegen die bis dahin überwiegende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte gestellt, die nur anrechnen wollte, wenn die Geschäftsgebühr vom Erstattungspflichtigen bereits gezahlt oder gegen ihn bereits in der Hauptsache tituliert worden war.

 

Rz. 3

Mit dieser Entscheidung vom 22.1.2008, die von ihm im Folgenden mehrfach bestätigt wurde,[4] hatte der BGH die bisherige jahrzehntelange Rechtsprechung auf den Kopf gestellt und das Abrechnungsverhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber mit dem Erstattungsverhältnis zwischen Auftraggeber und Drittem unzulässigerweise vermengt. Diese unsägliche Rechtsprechung hatte für die Praxis derart katastrophale Folgen, dass sich der Gesetzgeber gezwungen sah, einzuschreiten und die Vorschrift des § 15a zu schaffen.

 

Rz. 4

Die Situation war insbesondere für den Beklagten nachteilig, weil dieser im Gegensatz zum Kläger in aller Regel keinen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Kosten hatte und daher nicht nur auf seiner Geschäftsgebühr "sitzen blieb", sondern im anschließenden gerichtlichen Verfahren auch nur einen Teil seiner Verfahrensgebühr erstattet erhielt.

 

Rz. 5

Wie zu erwarten war, führte die Rechtsprechung des BGH auch zu einer erheblichen Belastung und Ausweitung der Kostenfestsetzungsverfahren und zu zahlreichen ungeahnten neuen Problemen. Um diese verfehlte Rspr. zu beseitigen und für die Zukunft auszuschließen, hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 15a in das RVG eingefügt, die am 5.8.2009 in Kraft getreten ist. Die Vorschrift hat einschneidende Änderungen der bisherigen Praxis mit sich gebracht, die zwischenzeitlich fast ausnahmslos umgesetzt worden sind. Dies betrifft zum einen die Abrechnung mit dem Auftraggeber (siehe Rdn 61 ff.), vor allem aber die Kostenerstattung (siehe Rdn 88 ff.). Darüber hinaus hat diese Vorschrift aber auch für die Abrechnung der Prozess- und Verfahrenskostenhilfevergütung einschneidende Änderungen gebracht (siehe Rdn 127 ff.). Auch das Abrechnungsverhalten der Rechtsschutzversicherer ist davon betroffen (siehe Rdn 131 ff.).

 

Rz. 6

Durch das 2. KostRMoG hatte sich der Anwendungsbereich des § 15a nochmals erheblich erweitert, da das Vergütungsverzeichnis jetzt über die ursprünglich bestehenden Anrechnungsregelungen weitere Anrechnungsfälle vorsieht, in denen die Regelung des § 15a anzuwenden ist. Auf ältere Rechtsprechung vor dem 2. KostRMoG kann daher nur eingeschränkt zurückgegriffen werden.

 

Rz. 7

Mit dem KostRÄG 2021 ist dann der neue Abs. 2 eingefügt worden, der die Anrechnung mehrerer Gebühren aus Teilwerten auf eine Gebühr aus dem Gesamtwert regelt. Der bisherige Abs. 2 ist dadurch inhaltsgleich zu Abs. 3 geworden. Auf die bisher zu Abs. 2 a.F. ergangene Rechtsprechung kann ohne weiteres zurückgegriffen werden, allerdings mit der Maßgabe, dass die entsprechende Regelung jetzt in Abs. 3 enthalten ist.

[1] BGH 7.3.2007 – VIII ZR 86/06, AGS 2007, 283 = RVGreport 2007, 226 = NJW 2007, 2049.
[2] Siehe dazu N. Schneider, NJW 2007, 2001, so aber OLG Düsseldorf ...

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