1. Überblick
Rz. 61
Anrechnungsvorschriften gibt es sowohl für Gebühren, deren Höhe sich gem. § 2 Abs. 1 nach dem Gegenstandswert richtet, als auch für Gebühren, deren Höhe sich nach Betragsrahmen richtet. Ausnahmsweise ist auch eine vereinbarte Gebühr anzurechnen (§ 34 Abs. 2). Auch bei Festgebühren ist eine Anrechnung vorgesehen.
2. Abrechnung bei Wertgebühren
a) Überblick
Rz. 62
Probleme bei der Anrechnung können sich hier vor allem dann ergeben, wenn unterschiedliche Gegenstände zugrunde liegen. Weitere Probleme ergeben sich bei Anrechnung mehrerer Gebühren aus Teilwerten auf eine Gebühr aus dem Gesamtwert und umgekehrt. Geklärt ist dagegen zwischenzeitlich die Anrechnung bei mehreren Auftraggebern. Im Einzelnen gilt Folgendes, wobei auf die besonderen Probleme bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Kommentierung zu VV Vorb. 3 Abs. 4 verwiesen wird:
b) Normalfall
Rz. 63
Sind die Gegenstände der aufeinander anzurechnenden Angelegenheiten identisch, ergeben sich keine Probleme. Herkömmlicherweise wird die zuerst entstandene Gebühr voll abgerechnet und dann der Anrechnungsbetrag bei der zweiten Rechnung wie ein Vorschuss netto in Abzug gebracht. Der Anwalt kann allerdings auch umgekehrt vorgehen. Am Ergebnis ändert sich dabei nichts. Bedeutung hat dies lediglich für die Kostenerstattung und die Abrechnung mit dem Rechtsschutzversicherer sowie ggf. für die abzuführende Umsatzsteuer. Im Folgenden soll hier immer von der chronologischen Methode ausgegangen werden. Zu dem abweichenden Vorgehen bei der Kostenerstattung siehe Rdn 88 ff., bei der Abrechnung mit dem Rechtsschutzversicherer siehe Rdn 131 ff.
Beispiel: Außergerichtlich war nach einem Gegenstandswert von 8.000 EUR eine 1,5-Geschäftsgebühr (VV 2300) angefallen. Anschließend kommt es zum Rechtsstreit über die 8.000 EUR.
I. |
Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 EUR) |
|
|
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, VV 2300 |
|
753,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
773,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
146,87 EUR |
Gesamt |
|
919,87 EUR |
II. |
Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000 EUR) |
|
|
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
|
652,60 EUR |
2. |
gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 anzurechnen, 0,75 aus 8.000 EUR |
|
– 376,50 EUR |
3. |
1,2-Terminsgebühr, VV 3104 |
|
602,40 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
898,50 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
170,72 EUR |
Gesamt |
|
1.069,22 EUR |
c) Mehrfache hintereinander folgende Anrechnungen
Rz. 64
Folgen mehrere Anrechnungsvorgänge hintereinander (sog. "Kettenanrechnungen"), wird zum Teil die Auffassung vertreten, anzurechnen sei nur das nach Anrechnung verbleibende Gebührenaufkommen, da ja nicht mehr angerechnet werden könne, als der Anwalt erhalten habe. Dies ist jedoch unzutreffend und widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des § 15a Abs. 1, wonach jede Gebühr selbstständig ist und der Anwalt nicht als das um die Anrechnung verminderte Gesamtaufkommen verlangen kann.
Beispiel: Der Anwalt ist zunächst in einer Baumängelsache außergerichtlich tätig (Gegenstandswert: 30.000 EUR). Die Sache ist sehr umfangreich, sodass eine 2,0-Gebühr angemessen sei. Anschließend führt der Anwalt das selbstständige Beweisverfahren durch. Es findet ein Sachverständigentermin statt, an dem er teilnimmt. Hiernach kommt es zum Hauptsacheverfahren, in dem nach mündlicher Verhandlung ein Urteil ergeht.
Die 2,0-Geschäftsgebühr ist auf die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens mit dem Höchstsatz von 0,75 anzurechnen (VV Vorb. 3 Abs. 4), da das selbstständige Beweisverfahren das erste nachfolgende gerichtliche Verfahren nach VV Teil 3 ist.
Im Hauptsacheverfahren ist dann nach VV Vorb. 3 Abs. 5 die volle – und nicht nur die um die Anrechnung verminderte – Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits anzurechnen.
I. |
Außergerichtliche Vertretung (Wert: 30.000 EUR) |
|
|
1. |
2,0-Geschäftsgebühr, VV 2300 |
|
1.910,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.930,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
366,70 EUR |
Gesamt |
|
2.296,70 EUR |
II. |
Selbstständiges Beweisverfahren (Wert: 30.000 EUR) |
|
|
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
|
1.241,50 EUR |
2. |
gem. VV Vorb. 3 Abs. 4 anzurechnen, 0,75 aus 30.000 EUR |
|
– 716,25 EUR |
3. |
1,2-Terminsgebühr, VV 3104 |
|
1.146,00 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.691,25 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
321,34 EUR |
Gesamt |
|
2.012,59 EUR |
III. Rechtsstreit (Wert: 30.000 EUR) |
|
|
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
|
1.241,50 EUR |
2. |
gem. VV Vorb. 3 Abs. 5 anzurechnen, 1,3 aus 30.000 EUR |
|
– 1.241,50 EUR |
3. |
1,2-Terminsgebühr, VV 3104 |
|
1.146,00 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
1.160,00 EUR |
|
5. |
19 % Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
221,54 EUR |
Gesamt |
|
1.381,54 EUR |
Beispiel: Der Anwalt macht für seinen Mandanten außergerichtlich eine Forderung in Höhe von 10.000 EUR geltend. Hiernach wird ein Mahnbescheid erwirkt, gegen den der Antragsgegner Widerspruch einlegt, sodass das streitige Verfahren folgt.
Außergerichtlich war eine 1,3-Geschäftsgebühr VV 2300 aus 10.000 EUR angefal...