Rz. 116

Die "Quotientenrechtsprechung" ist abzulehnen. Sie nimmt nicht die gebotene Differenzierung zwischen der Angemessenheit im vergütungsrechtlichen Sinne und der Sittenwidrigkeit der Vergütung im zivilrechtlichen Sinne vor (siehe Rdn 109). Vielmehr verwendet namentlich der BGH beide Begriffe ungeachtet ihrer unterschiedlichen Rechtsfolgen synonym, ohne sich um eine dogmatisch tragfähige und praktisch brauchbare Abgrenzung zu bemühen.[185] Eine schematische Vergleichsberechnung nach Quotienten mit einer Faustregel, nach welcher die Grenze zur Sittenwidrigkeit bzw. Unangemessenheit in den Fällen überschritten wird, in denen mehr als das Fünffache der gesetzlichen Vergütung verlangt wird, findet in Abs. 2 keine Grundlage und ist daher rechtlich nicht zu begründen.[186] Der Vergleich zwischen den gesetzlichen und den vereinbarten Gebühren ist bereits im Ansatz methodisch verfehlt und läuft auf einen klassischen "Äpfel-Birnen-Vergleich"[187] hinaus. Für die Beratungstätigkeit, die seit dem 1.7.2006 keine gesetzlichen Gebühren als Vergleichsmaßstab mehr kennt (siehe § 34 Rdn 2), ist dieser Vergleich ohnehin nicht mehr praktikabel. Für die anderen Tätigkeitsbereiche des Anwalts erscheint eine Kappungsgrenze bei dem fünffachen – oder neunfachen? – Satz der gesetzlichen Gebühren willkürlich. Es leuchtet schlechterdings nicht ein, dass ausgerechnet bei diesem Faktor die Schwelle zur Unangemessenheit überschritten sein soll. So kann im Einzelfall bei der Rückforderung eines geringen Restguthabens aus einer Nebenkostenabrechnung mit umfangreicher und zeitaufwändiger Prüfung aller Betriebskostenpositionen auch das sechs- oder siebenfache der gesetzlichen Gebühren noch angemessen sein, während bei der bloßen Beantragung eines Mahnbescheides über eine Millionenforderung bereits das Doppelte oder Dreifache der gesetzlichen Gebühren unangemessen erscheinen mag.[188]

[185] Eingehend Rick, RVGreport 2006, 441 ff.; vgl. auch Hinne/Klees/Teubel/Winkler, Rn 250; Mayer/Kroiß/Teubel, § 3a Rn 146 ff.
[186] OLG Hamm AnwBl 2007, 723; OLG Hamm 13.3.2008 – 28U 71/07 (n.v.); Kilian/vom Stein/Rick, § 29 Rn 246; Henssler, NJW 2005, 1537, 1538; Koch/Kilian, Rn B 520; Krämer/Mauer/Kilian, Rn 459; Lutje, NJW 2005, 2490, 2491; kritisch auch OLG Frankfurt/M. AGS 2006, 113, 115.
[187] So wörtlich Krämer/Mauer/Kilian, Rn 454; ders. in Koch/Kilian, Rn B 522; ebenso Henssler, NJW 2005, 1537, 1538; N. Schneider, Vergütungsvereinbarung, Rn 1340 ff.; Lutje, NJW 2005, 2490, 2491.
[188] Das gesetzliche Honorar im Fall BGH 3.4.2003 – IX ZR 113/02, NJW 2003, 2386 lag bei 50.345,15 DM, das vereinbarte Honorar bei 237.366,54 DM. Warum diese vereinbarte Vergütung ohne weiteres angemessen sein soll, während eine lediglich um mehr als 14.359,21 DM höhere Vergütung eo ipso unangemessen wäre, erscheint wenig plausibel.

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